Die Zukunft ist weiblich
Warum hat das Wort „Feministin“ immer noch einen faden Beigeschmack? Frauen wollen ungern so genannt werden, obwohl sie gleichberechtigt leben. Dabei ist Feminismus heute genauso wichtig wie vor 100 Jahren und viel mehr als eine reine Frauenbewegung. Von Katrin Otto
Feministin ist das hässliche Mannsweib, das lila Latzhosen trägt und seine Weiblichkeit negiert“, so beschreibt KDFB-Frau Andrea Schweer vom Diözesanverband Passau das Klischee. Sie trägt zwar kein lila T-Shirt mit der Aufschrift „Ich bin Feministin“, aber sie bezeichnet sich so. Andrea Schweer ist in den 1980er-Jahren aufgewachsen. Patriarchalische Strukturen in der Familie, in den Vereinen und im Berufsleben waren fest installiert. „Die Frage, ob sich eine gute Ausbildung für die Frau lohnt, wurde ganz offen und ohne Scham gestellt“, erzählt sie.
Doch auch 40 Jahre später hat sich nicht viel geändert. „Ich habe Karriere gemacht und muss mich mit 56 Jahren immer noch dafür rechtfertigen“, so Schweer. Denn immer noch begegnen Frauen sexistische Vorurteile, wie „Du siehst ja gut aus. Du hast doch keine Probleme einen Mann zubekommen!“ oder „Du schminkst dich und bist Feministin?“, die zeigen wie wenig Geschlechtergerechtigkeit heute Realität ist.
„Dass ich weniger verdienen würde als meine männlichen Kollegen, fand meine Mutter völlig normal. Wohingegen sie es ungerecht fand, dass ich genauso viele Arbeitsstunden leisten sollte. Der Grund: Ich musste mich ja morgens herrichten, und dazu braucht man mehr Zeit als ein Mann.“ KDFB-Frau Andrea Schweer
„Schon früher in der Schule habe ich mich dafür eingesetzt, dass auch mal die Mädchen mit Fußballspielen durften, nicht nur die Jungs.“ KDFB-Frau Melanie Völkl
„In meinen Zwanzigern bin ich noch dem alten Männermärchen aufgesessen. Wenn ich nur kompetent und fleißig genug wäre, dann würde ich auch ein Stück der Macht abbekommen. Heute weiß ich, dass das nicht stimmt.“ KDFB-Frau Annette Fischer
Feminismus ist in der Popkultur angekommen
Feministin war lange gleich „Emanze“ gleich Schimpfwort. Viel geändert hat sich leider nicht. „Feminismus ist nach wie vor ein Begriff, der oft negativ behaftet ist und an eine Bewegung erinnert, die Männer ausschließen oder degradieren will“, sagt KDFB-Vizepräsidentin Annette Fischer aus dem Diözesanverband Augsburg. Dabei schließen sich heute „feministisch“ und „feminin“ nicht mehr aus. Das sah in der Geschichte des Feminismus schon mal anders aus, als es darum ging, sich auch äußerlich von den Vorgaben des Patriarchats zu lösen und typisch weibliche Attribute abzulegen. Heute dagegen gibt es in der Popkultur viele Sängerinnen, die mit ihrer Weiblichkeit und Sexyness spielen und trotzdem feministische Texte singen wie Taylor Swift oder Beyoncé. Die amerikanische Popkultur prägt den neuen Feminismus auch bei uns und trägt ihn in die Mitte der Gesellschaft. Feminismus ist cool. Denn die Ziele sind anerkannt: für Veränderung der Geschlechterverhältnisse und gegen gesellschaftliche Ungleichheit und Diskriminierung. Eigentlich ist jede*r dafür. Brauchen wir überhaupt noch Feminist*innen oder Frauenverbände?
„Für mich ist Feminismus die Gleichstellung von Frauen und das Ende der Diskriminierung von Frauen nur aufgrund ihres Geschlechts. Fakt ist, dass auch im 21. Jahrhundert die meiste Macht noch in den Händen von Männern liegt.“ Annette Fischer
Unbedingt! Geht es um Hausarbeit, gleiches Einkommen oder Windeln wechseln, sind alte Rollenbilder schnell reaktiviert. „Wenn Paare Kinder kriegen und die Familien- und Erwerbsarbeit sich nicht gleichberechtigt aufteilen lässt, dann wird offensichtlich, dass Gleichberechtigung doch noch nicht vollständig erreicht ist und Feminismus wieder interessant“, so die Soziologin und Geschlechterforscherin Marianne Schmidbaur. Sie war wissenschaftliche Geschäftsführerin und geschäftsführende Direktorin des Centrums für Geschlechterstudien an der Frankfurter Goethe-Universität. Tatsächlich stecken immer noch die Frauen zurück. Jede fünfte Frau verändert ihre beruflichen Ziele wegen der Kinder. Nur 25 Prozent arbeiten Vollzeit, 50 Prozent in Teilzeit – im Vergleich zu zehn Prozent der Männer. Denn Frauen wenden pro Tag im Durchschnitt 44 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer (Gender Care Gap).
„Wir brauchen Feminismus, um dafür zu sensibilisieren, dass es nicht zwingend die Frau sein muss, die nach einer Familiengründung mit den eigenen Zielen im Leben zurücksteckt.“ Andrea Schweer
Doch auch Männer wollen heute nicht länger auf ihre Arbeit und eine Rolle als Ernährer der Familie reduziert werden. Feminismus habe nicht mehr den Klang von Männerfeindlichkeit wie in den 1970er-Jahren, als Slogans wie „Ein bisschen Männerhass steht jeder Frau“ die patriarchalen Strukturen provozierend infrage stellten, sagt Schmidbaur. Die Basis feministischer Bewegungen sei breiter und die Zielsetzungen sind vielfältiger geworden.
Bisher Erreichtes in Gefahr
„Die Jungen nehmen die Errungenschaften, gleiche Chancen zu haben, für selbstverständlich. Sie haben kein historisches Bewusstsein welche Kämpfe dahinterstecken. Sie erleben Diskriminierung erst, wenn sie Kinder bekommen oder in den Beruf gehen“, stellt die Soziologin und Juristin Ute Gerhard fest. Sie war die erste Inhaberin eines Lehrstuhls für Frauen- und Geschlechterforschung an einer deutschen Universität. „Dazu kommt, dass Frauen heute sehr emanzipiert und selbstbewusst sind und alles alleine hinbekommen wollen. Diese Individualisierung des Feminismus nimmt den Schub, gemeinsam zu handeln, wie in früheren Frauenbewegungen“, sagt die emeritierte Professorin der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Das führe zu geringerer gesellschaftlicher Präsenz und damit Entpolitisierung.
„Gleichberechtigung? Im Gegenteil, sie ist auf dem Rückzug! Wie kann man Frau, Mutter, Ehefrau und Arbeitnehmerin sein, ohne seine eigenen Interessen hintanzustellen, ohne sich automatisch den Bedürfnissen anderer – und es sind nicht nur Männer – unterzuordnen?“ Andrea Schweer
Die aktuelle Weltlage verschlimmert die Situation. „Wir sind im Kriegs- und Krisenmodus, sodass eine Retraditionalisierung stattfindet mit Rückbesinnung auf die Familie und klassische Rollen. Das ist bequemer“, so Gerhard. Themen wie Corona, Krieg und Klima drängen Frauenfragen in der politischen Realität in den Hintergrund und haben die Missstände noch verstärkt. Dazu kommt, dass rechtspopulistische Kräfte alte Rollenbilder wie „Die Frau soll viele Kinder bekommen“ aufleben lassen. Einzig die Anti-Rechts-Demos politisieren die Bürger, damit kommen auch Frauenthemen wieder auf die Straße. „Für Demokratie zu kämpfen, bedeutet für Gleichberechtigung zu kämpfen“, appelliert sie. Denn die historischen Errungenschaften dürfen nicht verloren gehen.
„Feminismus ist heute noch genauso notwendig wie vor über 100 Jahren. Die unzähligen gewaltvollen Konflikte in unserer Welt basieren auf patriarchalen Machtverhältnissen und haben strukturelle physische und psychische Gewalt gegen Frauen zur Folge. Umso wichtiger ist es, Frauen in Friedensprozesse mit einzubeziehen, damit diese Prozesse nachhaltiger in die Gesellschaft getragen werden können.“ Annette Fischer
Von der ersten zur dritten Welle
Seit Jahrhunderten sägt der Feminismus an Rollenbildern. Die Wurzeln liegen in der Suffragetten-Bewegung des 19. Jahrhunderts, es ging um gesetzliche Gleichberechtigung, den Zugang zu Wahlen, Bildung und Arbeit sowie um Selbstbestimmung. 1918 errangen Frauen zwar in Deutschland das Wahlrecht, aber erst zehn Jahre später in Großbritannien, 1931 in Spanien, 1944 in Frankreich, 1946 in Italien, 1971 in der Schweiz und 1984 in Liechtenstein.
Während diese erste Feminismus-Welle vor allem in Vereinen stattfand, gingen die Frauen der zweiten Welle Ende der 1960er-Jahre auf die Straße. Sie kämpften gegen tradierte Rollenvorstellungen und für Selbstbestimmung. Die nunmehr dritte Welle rauscht, getragen durch die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, seit den 2000er-Jahren vor allem durch Internet und Social Media mit Initiativen, die Sexismus über Hashtags wie #meToo und #aufschrei öffentlich anprangern. Frauen wehren sich, Objekt von Gewalt und Belästigung zu sein. „Frauen wollen nicht aufs Äußere reduziert werden. Sei es der knallrote Lippenstift oder das Minikleid. Und schon gleich gar nicht damit sexualisieren. Sie wollen gesehen und gehört werden“, sagt Melanie Völkl vom Diözesanverband Regensburg. Die MeToo-Debatte hat das erreicht und zu einem Wiedererstarken des Feminismus und neuer, breiter Öffentlichkeit geführt. Gleichzeitig bilde sie eine Brücke zwischen Generationen und Regionen, ist Ute Gerhard überzeugt.
Mitauslöser für den neuen Feminismus sei ein „Backlash“, ein Rückschlag, erklärt die Soziologin Schmidbaur: Frauen sind politisch immer noch in Parlamenten weniger vertreten (nur 35 Prozent), der Gender Pay Gap beträgt seit Jahren unverändert 18 Prozent. Bereits Erreichtes wie gendersensible Sprache wird zurückgenommen.
„Mein liebstes Beispiel aus dem Alltag ist: Die Frau zu Hause am Herd und der Mann geht arbeiten. Wir leben im 21. Jahrhundert. Das kam noch immer nicht bei allen an. In vielen Berufsbranchen werden immer noch Frauen schlechter bezahlt oder auch oft gar nicht wahrgenommen.“ Melanie Völkl
Alte Themen bleiben
Noch immer basiert die Arbeitswelt auf dem überalterten Konstrukt des Mannes als Hauptversorger. Das staatliche Ehegattensplitting, das Alleinverdiener-Ehen steuerlich begünstigt, festigt alte Rollenbilder. Fragen der Care-Thematik wie „Wer sorgt für wen?“ bleiben. Der Blick in die Zukunft sei ein weiterer Grund zu kämpfen, sagt Schmidbaur.Generationen von Frauen drohe wegen unterbrochener Erwerbstätigkeit die Altersarmut, und gleichzeitig werde in der Politik die Grundsicherung infrage gestellt.
Der heutige (Netz)-Feminismus ist internationaler und vielfältiger als die Frauenbewegung in den 1970er-Jahren. Es geht um mehr als nur Frauenrechte und Gleichberechtigung. Es geht um sexuelle Identität, die neue Rolle des Mannes und gegen Homophobie. „Der heutige Fokus im Feminismus ist, alle Formen der Sexualität anzuerkennen. Es gibt nicht nur zwei Geschlechter. Alle Diskriminierungsgründe müssen zusammen gedacht werden. Die Identitätsfrage ist wichtig. Frau allein ist kein Status mehr“, sagt Gerhard. Der heutige Feminismus will die Selbstbestimmung und Freiheit aller. Dabei hat er viele Facetten: vom liberalen, konservativen, schwarzen und intersektionalen Feminismus, das heißt zeitgleiche Mehrfachdiskriminierungen von Minderheiten, bis zum sozialistischen, Queer-, Anarcha- oder Netz- und Ökofeminismus.
Gemeinsam stark
„Durch die Vielfalt ist die Stärke der einzelnen Gruppen nicht mehr so stark wie in den vorhergehenden Frauenbewegungen“, bedauert die Soziologin. Aber Feminismus ist heute genauso notwendig wie vor 100 Jahren. Ute Gerhard zitiert die Schriftstellerin Hannah Arendt mit den Worten: „Nur gemeinsam handeln, ermächtigt etwas zu verändern.“ Umso wichtiger ist es, dass Frauen zusammenhalten und auf Gleichberechtigung achten, statt patriarchale Systeme zu stützen. „Nach wie vor müssen sich Frauen in Bewerbungsgesprächen Fragen von Frauen gefallen lassen, die gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstoßen, darunter Fragen nach Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung“, kritisiert KDFB-Vizepräsidentin Fischer. „Wir haben noch einen langen Weg vor uns“, mahnt sie.
„Frauen müssen aufhören, andere Frauen zu kritisieren, die ihren eigenen Weg gefunden haben, die sich in der Männerwelt behaupten, die den Mund aufmachen und Frauenrechten eine Stimme geben“. Andrea Schweer
Etappen der Gleichberechtigung
1849 Louise Otto-Peters gründet die Wochenzeitung Frauen-Zeitung
1865 Frauenkonferenz und Gründung des ersten Frauenvereins in Deutschland. Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) ist Otto-Peters
1894 Gründung des Dachverbands Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) für Recht auf Bildung und Ausbildung
1896 erste Abiturientinnen
1899 Erlaubnis für Frauen zu Medizin-und Pharmaziestudium
1900 uneingeschränkte Geschäftsfähigkeit für ledige Frauen
1903 Gründung des Katholischen Frauenbundes (KFB) in Köln mit Vorsitzender Emilie Hopmann um die caritativen, sozialen und politischen Bestrebungen der katholischen Frauen zu bündeln
1903 Henriette Arendt wird erste deutsche uniformierte Polizistin
1908 Gleichstellung der Ausbildung, Vereinsfreiheit für Frauen
1915 Internationaler Frauenfriedenskongress in Den Haag
1918 Frauenwahlrecht in Deutschland
1933 Ausschluss von Frauen aus Parlamenten
1949 Gleichberechtigung im Grundgesetz verankert: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
1952 Mutterschutzgesetz
1954 Beschäftigungsverbot für verheiratete Frauen im öffentlichen Dienst wird annulliert
1957 Lehrerinnenzölibat wird verfassungswidrig, Gehorsamsparagraf (Mann entscheidet in der Ehe) wird gestrichen
1958 Gleichberechtigungsgesetz (Frau verwaltet ihr Vermögen selbst und entscheidet über Berufstätigkeit)
1961 erste deutsche Bundesministerin: Elisabeth Schwarzhaupt, Zulassung der Pille
1962 Frauen dürfen Bankkonto eröffnen
1968 Studentin Helke Sander kritisiert patriarchalen Studentenbund. Der folgende Tomatenwurf der Studentin Sigrid Rüger läutet die Frauenbewegung 1968 ein
1971 Alice Schwarzer initiiert Titelgeschichte im Stern: „Wir haben abgetrieben!“ als Aktion für die Streichung von Paragraf 218
1973 Reform des Kuppeleiparagrafen
1974 Schwangerschaftsabbruch in den ersten drei Monaten wird straffrei
1975 erste Frauen in der Bundeswehr
1976 Nachname der Frau kann bei Eheschließung gewählt werden
1977 Alice Schwarzer gründet die Zeitschrift Emma
1986 Einführung von Erziehungsgeld und -urlaub
1993 erste Ministerpräsidentin eines Bundeslands: Heide Simonis
1994 erste Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts: Jutta Limbach, Ergänzung des Grundgesetzartikels: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
1997 sexuelle Nötigung in der Ehe wird strafbar
2001 Bundesgleichstellungsgesetz
2005 erste deutsche Bundeskanzlerin: Angela Merkel
2016 neues Sexualstrafrecht: „Nein heißt Nein“
2017 Gleichstellung homosexueller und heterosexueller Ehen
2023 Selbstbestimmungsgesetz zu Änderung von Namen und Geschlecht
Gleichberechtigung? Nur auf dem Papier!
Autorin Alexandra Zykunov („Was wollt ihr denn noch alles?!“, „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!“, Ullstein Verlag) über Feminismus heute.
Frau Zykunov, Sie bezeichnen sich als Feministin. War das schon immer so?
Meine Mutterschaft hat mich feministisch radikalisiert. Zuvor bin ich davon ausgegangen, dass wir alle längst gleichberechtigt sind. Dann bin ich schwanger und Mutter geworden. Sprüche, wie „Wozu bekommst du Kinder, wenn du sie sofort wieder abgibst“, die mein Mann nie zu hören bekam, machten mir klar: Das mit der Gleichberechtigung ist nur auf dem Papier so, in Wirklichkeit stimmt das gar nicht.
Warum ist Feminismus gerade jetzt wieder ein Thema?
Ich glaube Feministinnen gab es immer, das mediale Interesse ist nur größer geworden. Es gibt seit ein paar Jahren viel mehr Bücher zum Thema, auch und gerade in großen Mainstreamverlagen. Popkulturell ist die Girl-Power akzeptiert mit Filmen wie „Barbie“, Künstlerinnen wie Beyoncé, Taylor Swift, Billie Eilish. Als Feministin kann man heute natürlich auch hübsch und cool sein. Muss es aber nicht. Jede*r kann es frei für sich selbst entscheiden. Darum geht es. Und nicht darum, Männer zu hassen.
Was verstehen Sie unter Feminismus?
Der Begriff erlebt gerade eine positiv konnotierte Renaissance. Männer hassend, Haare auf Beinen und Zähnen, ist die veraltete, aber immer noch existierende Konnotation, die Feminismus nicht definiert, sondern diskreditiert. Feminismus möchte nichts, als Vorherrschaft abbauen und dafür sorgen, dass sämtliche Menschen, jeglicher Herkunft, sexueller Orientierungen, Geschlechtsidentitäten, Religionen, die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben sollten.
Es geht also nicht nur um das Geschlecht Frau?
Nein, das meint meist die weiße deutsche Frau und schließt Frauen mit Migrationshintergrund und Transfrauen aus. Feminismus soll nicht die Frau empowern, sondern die existierende Bevorzugung des heterosexuellen weißen Cis-Mannes entpowern.
Gibt es Parallelen zu den Feministinnen der 1970er-Jahre?
Die Anfänge der 70er waren wichtig, darauf baut auf, was wir jetzt haben. Aber einige Verfechterinnen von damals sind in der Zeit hängen geblieben; der aktuelle Feminismus schreibt Intersektionalität groß. Es geht nicht nur darum, dass Geschlecht, die biodeutsche weiße Frau ohne Kopftuch, nach vorne zu bringen, sondern sämtliche Geschlechtsidentitäten, Herkünfte, Hautfarben, Religionen und Lebenswelten. Der Feminismus heute gilt auch für den Mann und befreit ihn von toxischen Männlichkeitsbildern, immer der Ernährer und Eroberer zu sein. Er will alle Diskriminierungen aushebeln, wie Sexismus, Rassismus, Klassismus, Homo– und Transphobie.
Warum haben viele Frauen ein Problem mit dem Begriff Feminismus?
Es ist leider noch nicht gang und gäbe, sich als Feministin zu bezeichnen. In Social-Media-Kommentaren gilt das immer noch als Schimpfwort.
Müsste die Politik hier mehr tun?
Die neoliberalen Parteien erweisen dem Feminismus keinen Gefallen, da sie davon ausgehen, dass man sich nur anstrengen muss, um es von der Tellerwäscherin zur Millionärin zu schaffen. Es ist aber nicht jede ihres Glückes Schmiedin, denn patriarchale Strukturen sind überall. Warum ist es für Frauen wie mich erst mal selbstverständlich, dass sie ein Jahr Elternzeit nehmen und nicht der Mann? Die Medien transportieren typische Rollenbilder. In Mathebüchern zum Beispiel zählt Papa die Geldscheine und Mama die Wäscheklammern. In Kinderbüchern erleben Jungs wilde Abenteuer auf Ozeanen, Mädchen machen Urlaub auf dem Bauernhof bei Oma und Opa – das hat vor zwei Jahren erst eine groß angelegte Literaturanalyse unter 50.000 Kinderbüchern ergeben.
Wie kann sich etwas verändern?
Wir müssten schon viel früher in der Erziehung und Schule ansetzen, Feminismus in die Lehrpläne aufnehmen. Warum kümmern sich Frauen um die Care-Arbeit? Das liegt am Gender-Pay-Gap und am Ehegattensplitting. Letzteres gehört endlich abgeschafft. Das Elterngeld sollte erhöht werden, um mehr Väter in Elternzeit zu bringen und den Gender-Care-Gap zu reduzieren. Warum liegt das Basiselterngeld nur bei rund 65 Prozent des Gehaltes? Warum bestraft der Staat, dass man Kinder in die Welt setzt und sich zu Hause um sie kümmert? Länder in Skandinavien zahlen 80 bis 100 Prozent Elterngeld, da ist der Anteil der Väter an der Care-Arbeit viel höher. Wir brauchen Quoten. Klar, es sollte nach Qualität gehen und nicht nach Geschlecht. Aber es geht ja nach Geschlecht, und zwar nach dem männlichen. Die Quote ist längst da, sie heißt nur Männerquote.
Macht Sie das wütend?
Ja absolut. Wut ist eine sehr politische Emotion gerade bei Frauen. Sie wurde ihnen über Generationen abtrainiert. „Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein, und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein“, stand mehrfach (!) in meinem Poesiealbum. Mit zehn Jahren habe ich mich schon gefragt: Warum darf ich nicht stolz sein? Frauen sollten viel mehr Dornen haben, wütend werden dürfen und auch stolz.
Filmtipps
Feminism WTF, ARD-Mediathek: Ein Dokumentarfilm, der mit starken Bildern ein Plädoyer für Gleichberechtigung hält indem Wissenschaftler*innen diese unabdingbare Notwendigkeit begründen.
Ihr Jahrhundert – Frauen erzählen Geschichte,
Im Kino seit 7. März: Alle zusammen sind sie über 500 Jahre alt, die porträtierten Protagonistinnen aus Kuba, Israel, Österreich, Indien und der Türkei. Eine Doku über fünf starke Frauen, die für ihre Sache einstehen und niemals Ruhe geben.
Helke Sander: Aufräumen, Im Kino seit 7. März: Porträt der heute 87-jährigen feministischen Filmemacherin Helke Sander, die Gewalt gegen Frauen und ihre Unterdrückung durch patriarchale Strukturen zu ihrem Lebensthema gemacht hat.
Selbsttest zum Ankreuzen: Wie viel Feministin bin ich?
1. 2024 ist in Deutschland die Gleichberechtigung
von Frauen und Männern …
a. gesetzlich weitgehend gewährleistet, die Realität sieht aber oft anders aus.
b. Männer und Frauen? Diese binären Kategorien sind mir zu einengend.
c. schon viel zu weit gegangen! Heute sind Männer das benachteiligte Geschlecht.
2. Dass Frauen sich mehr um Haushalt, Kinder und zu pflegende Angehörige kümmern …
c. liegt in der menschlichen Biologie begründet. Frauen neigen von Natur aus zu Fürsorglichkeit, Männer sichern das Überleben.
a. ist nicht mehr zeitgemäß und sollte sich durch gesetzliche Rahmenbedingungen endlich ändern.
b. lässt sich nur durch eine radikale Revolution im Care-Sektor und durch das Aufbrechen der heteronormativen Kleinfamilie lösen.
3. Der bestehende Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen …
c. ist ein Mythos. Frauen sind doch selbst schuld, dass sie freiwillig nur halbtags und in schlecht bezahlten Branchen arbeiten wollen.
a. ist mit aktuell 18 Prozent in Deutschland viel zu hoch. Wir brauchen mehr Lohntransparenz und Fördermaßnahmen – auch damit Frauen in männlichen Branchen Fuß fassen können.
b. ist kein Wunder, wenn weiblich identifizierte Personen in frauen-typische Jobs gedrängt und dort strategisch ausgebeutet werden. Da hilft nur eins: den Kapitalismus als Ganzes abschaffen!
4. Gewalt gegen Frauen und Mädchen …
a. ist in allen Schichten und Regionen der Welt verbreitet und muss bekämpft werden, um für eine gerechtere Zukunft für Frauen und Mädchen zu sorgen.
c. geht gar nicht, denn Männer als das stärkere Geschlecht müssen Frauen beschützen. Es muss aber endlich auch darüber gesprochen werden, dass es eine riesige Dunkelziffer an von ihren Frauen misshandelten Männern gibt!
b. ist Ausdruck einer patriarchalen Gesellschaft, die alles Weibliche verachtet und unterwerfen will.
5. Wenn Frauen Schönheitsoperationen vornehmen lassen …
c. wissen sie um die Wichtigkeit weiblicher Attraktivität und wollen ihren Marktwert nicht verlieren.
a. finde ich es traurig, dass sie auch heute nicht genug Selbstbewusstsein haben, dem männlichen Blick, der sie auf ihren Körper reduziert, zu widerstehen.
b. ist das eine frei gewählte Körpermodifikation, mit der sie die Künstlichkeit weiblicher Schönheitsideale bewusst ausstellen, statt zu versuchen, dem unrealistischen Ideal „natürlicher weiblicher Schönheit“ zu entsprechen.
6. „Mein Bauch gehört mir“ …
a. war eine essenzielle Forderung der Frauenbewegung der 1960er- und 1970er-Jahre, die bis heute nicht eingelöst ist.
c. ist ein Slogan egoistischer Frauen, die Abtreibung verantwortungslos als Verhütungsmethode nutzen und Männer von lebenswichtigen Entscheidungen, die eben nicht nur sie allein betreffen, ausschließen.
b. ist ein wichtiger Spruch der Second Wave, die aber leider oft nicht mitbedacht hat, dass etwa auch trans Männer Kinder bekommen.
Auflösung:
Vor allem a: Die Realo-Feministin In deinem Herzen bist du davon überzeugt, dass eine Gesellschaft nur gerecht sein kann, wenn Frauen und Männer gleichberechtigt leben. Ob dahingehende Bemühungen feministisch oder anders benannt werden, ist dir nicht so wichtig. Du strebst eine Situation des Ausgleichs und der Harmonie zwischen den Geschlechtern an, in der niemand benachteiligt wird: weder die Frauen noch die Männer.
Vor allem b: Die Queerfeministin Du bist eine absolut überzeugte Feministin –obwohl du wahrscheinlich nicht an die Existenz von nur zwei Geschlechtern glaubst. Du kennst die aktuellen Debatten um feministische Ökonomiekritik, die Verteilung von Care Work, Heteronormativität, Transfeindlichkeit oder Sexarbeit. Du beherrschst die gängige Terminologie und willst mit deinen kompromisslosen Ansichten die Welt zum Besseren verändern.
Vor allem c: Der/die/das Masku Deine Antworten hast du nicht alle ernst gemeint, oder? Du wolltest einfach schauen, was passiert, wenn man bei jeder Antwort die Feminismus-kritischste anklickt, nicht? Aber ernsthaft: Das moderne Leben kann eine ziemliche Herausforderung sein, für Frauen, für Männer – und besonders für alle, die sich nicht in diesen zwei binären Kategorien verorten. Da erscheint es manchmal als gewinnbringende Strategie, sich auf vermeintlich Altbewährtes zurückzuziehen, als die Rollen zwischen Männern und Frauen noch klar verteilt waren. Doch diese Aufteilung ist eine Erfindung des Bürgertums des 19. Jahrhunderts. Wenn alle frei wählen können, wie sie ihr Leben gestalten, wird das Zusammenleben entspannter. In diesem Sinne: Give feminism a chance!
Quelle: Goethe Institut