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Frauenbund: „Dignitas infinita“ in vielen Aussagen unscharf, unterkomplex und verletzend

10.04.2024

In der jüngst veröffentlichten Erklärung „Dignitas infinita“ zählt der Vatikan „schwere Verstöße gegen die Menschenwürde“ auf, etwa Geschlechtsumwandlung und Gender-Theorie. Laut Kardinal Fernández werden nicht alle Themen auf gesellschaftlichen Konsens treffen. 

Verstöße gegen die Menschenwürde 

„Die Kirche verkündet, fördert und macht sich zum Garanten der Menschenwürde“, heißt es in der Erklärung „Dignitas infinita – über die menschliche Würde“. In Kapitel vier des 25-seitigen Dokuments werden „einige schwere Verstöße gegen die Menschenwürde“ aufgezählt. „Die Würde des Leibes kann nicht als geringer angesehen werden als die der Person als solcher“, heißt es in dem Text.

Neben Krieg, dem Leiden von Migranten oder dem Menschenhandel findet sich in dem Kapitel auch ein kurzer Abschnitt über sexuellen Missbrauch als Verstoß gegen die Menschenwürde. Die Kirche setze sich „unermüdlich“ dafür ein, allen Arten von Missbrauch ein Ende zu setzen, „und zwar beginnend im Inneren der Kirche“. Auch Abtreibung, Leihmutterschaft und Gewalt gegen Frauen werden in dem Dokument als „schwere Verstöße gegen die Menschenwürde“ aufgeführt.

KDFB kritisiert Vatikan-Erklärung

Leider werde die Erklärung den komplexen Lebenssituationen von Menschen an vielen Stellen nicht gerecht, beispielsweise von queeren Personen oder Frauen im Schwangerschaftskonflikt, kritisiert der KDFB. Der Verband plädiert  im Sinne einer doppelten Anwaltschaft für das Lebensrecht des Embryos und gleichzeitig für die Achtung der Würde der Frau und ihr Recht auf physische und psychische Gesundheit. Lebensschutz ist nur mit der Mutter gemeinsam möglich. Beide Rechte müssen daher in einen Ausgleich gebracht werden.

„Dignitas infinita“ thematisiere ausführlich verschiedene Formen der Gewalt gegen Frauen, von sexueller Ausbeutung bis hin zu Femiziden, die erstmals in einem römischen Dokument benannt werden. Doch selbst dort, wo Frauen theoretisch gleiche Würde und gleiche Rechte besitzen, bestehen weiterhin faktische Ungleichheiten mit Blick beispielsweise auf Lohngerechtigkeit, Familienrechte oder die Chancen auf Teilhabe an Entscheidungen. 

Frauen weiter in Kirche benachteiligt

Nach „Dignitas infinita“ gilt: „Die Kirche verkündet, fördert und macht sich zum Garanten der Menschenwürde“. Katholik*innen engagierten sich an vielen Stellen überzeugend für Menschenwürde und Menschenrechte. Allerdings gilt immer noch, dass in der Kirche selbst Frauen nicht dieselben Rechte besitzen. Durch den Ausschluss von der Weihe sind sie von Ämtern, Entscheidungen und Mitsprache ausgeschlossen. Das schmälert das menschenrechtliche Zeugnis der Kirche deutlich. Hier wäre Selbstkritik zwingend notwendig, so der KDFB.

„Als Verband, der sein Handeln theologisch reflektiert, verwundert uns der Umgang von ‚Dignitas infinita‘ mit der Bibel“, so die KDFB-Vizepräsidentin und Bibelwissenschaftlerin Ute Zeilmann. „Bibelstellen werden grundsätzlich nach der Einheitsübersetzung von 1980 zitiert, nicht nach der überarbeiteten, aktuellen Fassung von 2016. Deshalb verwendet das Dokument im Passus über biblische Begründungen der Menschenrechte immer noch die alte Übersetzung, nach der Gott den Menschen ‚als Mann und Frau‘ schuf. In der neuen Version ist von ‚männlich und weiblich‘ die Rede, entsprechend der relevanten historischen Textzeugen, womit die Bibel kein binäres Entweder-Oder ausdrücken will, sondern umfassend alle Menschen meint.“

Vatikan: Unaufhebbaren Geschlechtsunterschied zwischen Mann und Frau

Die „Gender-Theorie“ lehnt der Vatikan ebenfalls zum Schutz der Menschenwürde ab, da sie den „unaufhebbaren Geschlechtsunterschied zwischen Mann und Frau“ verschleiere. Mit ihrem Anspruch, alle gleich zu machen, lösche sie die Unterschiede aus. In dem entsprechenden Abschnitt der Erklärung wird zugleich kritisiert, „dass mancherorts nicht wenige Menschen allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung inhaftiert, gefoltert und sogar des Lebens beraubt werden“.

„‘Dignitas infinita‘ lässt einmal mehr eine differenzierte Auseinandersetzung mit Gender Studies vermissen“, so die Vorsitzende der Theologischen Kommission des KDFB, Regina Heyder: „Die ‚Gender-Theorie‘ wird wieder nur im Singular und ausschließlich bezogen auf sexuelle Identität thematisiert (vgl. Nr. 56). Das entspricht in keiner Weise dem weltweiten Diskussionsstand. Bedauerlich ist ebenso, dass das Dokument ausschließlich männliche, westeuropäische Theologen zitiert. Als Frauenverband“, so Heyder weiter, „sind wir überzeugt: Frauenrechte sind Menschenrechte und Menschenrechte sind Frauenrechte (Hillary Clinton). Die gleiche Würde zeigt sich auch in der Kirche erst in gleichen Rechten.“

Manche Aufzählungen in diesem vierten Kapitel seien Konsens in der Gesellschaft, andere würden nicht auf die Zustimmung aller treffen, sagte Kardinal Víctor Manuel Fernández, der Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre.

Vatikan kritisiert Geschlechtsumwandlung 

Jeder geschlechtsverändernde Eingriff berge in der Regel die Gefahr, „die einzigartige Würde zu bedrohen, die ein Mensch vom Moment der Empfängnis an besitzt“, heißt es in der Erklärung des vatikanischen Glaubensdikasteriums. 

Zum Thema Geschlechtsumwandlungen heißt es, dies beziehe sich nicht auf medizinische Behandlungen, die aufgrund von angeborener oder sich später entwickelnder „genitaler Anomalien“ durchgeführt werden. „In diesem Fall würde die Operation keine Geschlechtsumwandlung in dem hier beabsichtigten Sinne darstellen“, stellt der Vatikan klar.

Im Zusammenhang mit Geschlechtsumwandlungen betonte Fenàndez  die „Wichtigkeit, die Realität als jene anzuerkennen, wie sie ist“. Er erkenne in der heutigen Zeit eine Tendenz, die Realität ändern zu wollen, ohne anzuerkennen, dass eine gegebene existiere. Fernández betonte auch, dass bei allen Themen, die aufgeführt sind, Punkte fehlen. „Für jedes dieser Themen könnte man ein eigenes Dokument schreiben“, sagte Fernández.

Bischof Georg Bätzing fordert vertiefende Auseinandersetzung mit Missbrauchsproblem

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sagte: „Natürlich gäbe es zu den einzelnen Themen noch weitaus mehr und weiter Differenzierendes zu sagen.“ Der Charakter der Erklärung biete einen „überblickartigen Hinweis auf den relevanten Argumentationsfaden“. Gerade dadurch könne mit diesem Dokument in den jeweiligen Einzelthemen nun weitergearbeitet werden, sagte Bätzing, „insbesondere etwa im Hinblick auf die Problematik der sexualisierten Gewalt und ihrer Vertuschung in der Kirche“. Hier müsse die Kirche noch stärker nach „missbrauchsbegünstigenden strukturellen und systemischen Aspekten“ fragen. „Dieser Problematik, die mit einer massiven Verletzung der Würde aller Betroffenen einhergeht, wird man anders nicht nachhaltig entgegentreten können“, sagte Bätzing.

ko/epd

Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) ist ein unabhängiger Frauenverband mit bundesweit 145.000 Mitgliedern. Seit der Gründung 1903 setzt er sich für Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen in Kirche, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ein.
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