Es kommt auf uns alle an
Der Klimawandel ist bereits heute auch in Deutschland spürbar. Die gesamte Menschheit steht vor einer riesigen Herausforderung. Konsequentes Handeln ist das Gebot der Stunde. Noch können wir es schaffen, ein lebenswertes Leben für die nachfolgenden Generationen zu sichern – wenn alle an einem Strang ziehen.
Als Klimaforscherin braucht man gute Nerven. Nicht nur die Fakten, mit denen man sich Tag für Tag konfrontiert sieht, können einem zu schaffen machen. Dazu kommt, dass man nicht müde werden darf, Überzeugungsarbeit zu leisten: immer und immer wieder die Zusammenhänge zu erklären. Aber vor allem benötigt man ein strapazierfähiges Nervenkostüm, weil man weiter daran glauben muss, dass es zu schaffen ist. Weil man alle Arbeitskraft dafür einsetzt, um einen Beitrag zu leisten, unseren Planeten zu retten. Oder besser gesagt: die Welt, wie wir sie kennen. Denn die Natur übersteht vieles. Der Mensch aber nicht. Er braucht eine nicht zu kalte, nicht zu heiße und nicht zu trockene Umwelt, in der Pflanzen gedeihen und Tiere leben können. Er ist davon abhängig, dass es gelingt, die Erwärmung der Erde bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf 1,5 Grad zu begrenzen. Um etwa ein Grad ist sie jetzt schon gestiegen.
„Wir müssen mehr Fahrt aufnehmen“
Daniela Jacob ist eine der Leitautorinnen des fünften Weltklimaberichts, wurde ins Europäische Mission Board zum Thema Klimawandel berufen und berät die Bundesregierung. Ihre Stimme wird gehört. Die international renommierte, deutsche Klimaforscherin sagt von sich selbst: „Ich bin notorisch positiv. Das muss ich auch sein. Denn ich glaube, der Klimawandel ist das wichtigste generationsübergreifende Thema, das wir vor uns haben.“ Aber auch sie kennt Tage, da machen sich Enttäuschung und Verärgerung breit. „Früher war ich nur enttäuscht, mittlerweile bin ich manchmal richtig verärgert.“ Sie ärgert sich, dass sie es schon so oft erklärt hat und immer noch lange nicht genug passiert. Mehr Druck auf die Politik von Seiten der Bürgerinnen und Bürger, das würde sie sich wünschen. „Es ist ja nicht so, dass die Politik nichts tut. Aber es geht einfach zu langsam. Die Zeit haben wir nicht. Wir müssen mehr Fahrt aufnehmen“, sagt sie. Doch die Professorin für Nachhaltigkeit ist auch überzeugt: In den vergangenen eineinhalb Jahren hat sich einiges verändert im Bewusstsein der Menschen für den Klimawandel. Daran haben die Jugendlichen, die sich bei den Fridays-for-Future-Aktionen engagieren, ihren Anteil. „Da wächst eine Generation heran, die verstanden hat, dass das, was wir jetzt entscheiden, in ihrem gesamten Leben noch wirkt.“ Auch die Wetterkapriolen der vergangenen drei Jahre hätten dazu entscheidend beigetragen. Drei Sommer in Folge kletterte das Thermometer auf Hitzerekorde, dazu ließen Extremwetterereignisse wie Starkregen und Orkane den Klimawandel zwischen Garmisch-Partenkirchen und Flensburg spürbar werden. „Gerade hatten wir weltweit den wärmsten Mai seit Beginn der Wetteraufzeichnungen“, sagt die Meteorologin. Das Baumsterben, besonders von Fichten und Buchen, nach den Hitzerekorden 2018 wird Forscher*innen zufolge in Deutschland noch über Jahre weitergehen.
Kommunen rufen Klimanotstand aus
Durch die Extremwetterereignisse kommt einiges auf Städte und Gemeinden zu. Auch deshalb haben etwa 70 deutsche Kommunen mittlerweile den Klimanotstand ausgerufen. Die Gemeinden haben den dringenden Handlungsbedarf erkannt, der sich aus den zunehmenden Risiken durch den Klimawandel ergibt.
An den Fragen, vor denen die Kommunen derzeit stehen, ist Daniela Jacob ganz nah dran. Sie hat nicht nur das Klimamodell (REMO) entwickelt, das in der Lage ist, die Veränderungen aufzuzeigen, denen eine Region durch den Klimawandel ausgesetzt sein wird. Sie leitet auch das Climate Service Center Germany (GERICS) in Hamburg. Dahinter steht ein Team von 70 Profis, die Kommunen unterstützen, sich an die bevorstehenden Veränderungen anzupassen. „Wir stellen den Gemeinden Informationen bereit, wie sich im Gebiet der Kommune das Wetter verändern wird. Dann entwickeln wir zusammen Pläne, wie sie klimaneutral und klimaresistent gegen Starkregen und Hitzeperioden werden können.“ Der Klimawandel ist schon so weit fortgeschritten, dass die Infrastruktur angepasst werden muss. Sollte um die Spielfläche des neu gebauten Spielplatzes ein Wall errichtet werden, um bei Starkregen zu verhindern, dass sie voll läuft? Lässt sich bei Starkregen das Wasser so leiten, dass es auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums versickert, statt in die Geschäfte zu laufen? Welche Möglichkeiten für Schatten zu sorgen gibt es in Wohnanlagen, um die zunehmende Hitze für die Bewohner*innen erträglicher zu machen? Solche Fragen sind es, die sich viele deutsche Kommunen stellen müssen.
Menschen tendieren dazu, bedrohliche Probleme auszublenden
Klimafreundliches Leben ermöglichen, dafür müssen nicht nur die Kommunen Voraussetzungen schaffen, die Bürger*innen müssen auch bereit sein, diese umzusetzen. Denn obwohl fast 90 Prozent der Menschen in Deutschland mehr Klimapolitik fordern, schlägt sich das längst nicht immer im eigenen Verhalten nieder. Etwa 9,2 Tonnen CO2-Ausstoß verursacht jede Bundesbürger*in im Schnitt pro Jahr, weniger als zwei Tonnen sollten es sein. Ins eigene Leben lassen sich viele nicht gerne hineinreden – nicht einmal, wenn es um den Schutz des Klimas geht. Dazu kommt, dass es die Rahmenbedingungen – etwa fehlende Nahverkehrsangebote auf dem Land – im alltäglichen Leben nicht immer leicht machen.
Ellen Matthies ist Professorin für Umweltpsychologie in Magdeburg. Sie beschäftigt sich damit, wie und warum Menschen umweltrelevante Entscheidungen treffen. „Menschen tendieren dazu, bedrohliche, nicht lösbare Probleme auszublenden. Daher verbietet es sich aus psychologischer Perspektive, die gravierenden Klimawandelfolgen darzustellen, ohne zugleich auf Handlungsmöglichkeiten aufmerksam zu machen. Im Alltagsverhalten liegt für manche Menschen eine Lösung. Aber alle Menschen können sich politisch engagieren, lokal oder national Klimaschutzpolitik einfordern, ihr Umfeld überzeugen, auf Flugreisen verzichten oder CO2 kompensieren. Die Möglichkeit sollte daher auch immer gezeigt werden.“ Wichtig ist ihr dabei, „Respekt vor den jeweiligen Lebensumständen zu haben“.
Klimaforscherin Daniela Jacob versucht, Wege zu finden, wie nachhaltiges Handeln im Alltag ohne erhobenen Zeigefinger funktionieren kann. Eine Idee, die sie auch schon dem Hamburger Bürgermeister nahegebracht hat, ist ein Wettbewerb: Welcher Stadtteil schafft es innerhalb eines bestimmten Zeitraums, am meisten CO2 einzusparen? „Man könnte sich mit einem CO2-Rechner über den persönlichen Verbrauch schlau machen und dann sehen, mit welchen Maßnahmen man im eigenen Leben etwas einsparen kann. Das kann bei jeder* anders aussehen. Wer immer mit dem Fahrrad fährt, kann vielleicht auch einmal häufiger ein Schnitzel essen, im Vergleich zu denen, die sich häufig hinters Steuer setzen. So kann jeder Mensch selber entscheiden, was in sein Leben passt, und dennoch zum Einsparen von CO2 beitragen. Der Stadtteil, der am Ende gewinnt, könnte zum Beispiel für ein Jahr kostenlosen Nahverkehr bekommen.“
KDFB auf nachhaltigem Kurs
Wenn das Umfeld mitzieht, findet Klimaschutz Nachahmer. Im schwäbischen Mering, auf halber Strecke zwischen Augsburg und München gelegen, haben sich viele Bürgerinnen und Bürger auf einen klimafreundlichen Weg gemacht. Unter dem Motto „Nachhaltiges Mering“ laufen verschiedene Ideen zusammen. Mit dabei ist auch der örtliche Zweigverein des KDFB. Ob beim jährlich stattfindenden Zukunftsmarkt, der nachhaltige Produkte und Initiativen im Blick hat, oder bei der Entwicklung eines Zeichens für Geschäfte, in denen man seine eigenen Behältnisse auffüllen lassen kann – der Frauenbund unterstützt die Schritte hin zu mehr Nachhaltigkeit vor Ort. Zweigvereinsvorsitzende Anneliese Herter sieht darin ein Thema, das alle Generationen anspricht. Gemeinsam zu überlegen, wie man klimafreundlicher leben kann, fällt leichter. „Man achtet dann automatisch im Alltag mehr darauf. Sei es beim Einkaufen oder indem man das Auto öfter stehen lässt“, ist die Erfahrung der Frauenbundfrau. Auch die Aktionswoche des KDFB zum Klimaschutz baut darauf, dass manches gemeinsam einfacher ist. Im Aktionsleitfaden finden sich viele Ideen, wie Zweigvereine in eine klimafreundlichere Zukunft starten können.
So wie die deutsche Bevölkerung lebt, bräuchte es drei Planeten Erde
Das Stichwort Klimagerechtigkeit spielt dabei eine Rolle: Der Ausstoß der schädlichen Emissionen ist nämlich höchst ungleich verteilt in der Welt. Besonders ungerecht: Die Bewohner*innen der reichen Industrienationen tragen weit mehr zur Erderwärmung bei als die der Länder des Südens, die besonders unter dem Klimawandel leiden. Deutlich zeigt das der sogenannte Erdüberlastungstag, dessen Datum jährlich vom Global Footprint Network errechnet wird und der dieses Jahr global gesehen auf den 22. August fällt. Dieser Tag markiert, wann die Menschheit das volle biologische Ressourcenbudget des Jahres verbraucht hat. Die Menschheit konsumiert derzeit so viel, als stünden ihr 1,6 Erden zur Verfügung. In westlichen Ländern ist es meist noch sehr viel mehr: So lebt die deutsche Bevölkerung so, dass es drei Planeten Erde bräuchte. Der Erdüberlastungstag fiel für Deutschland in diesem Jahr bereits auf den 3. Mai. Einen weiteren fragwürdigen Rekord verzeichnete Deutschland im vergangenen Jahr – etwa 124 Millionen Flugreisen wurden angetreten: mehr als je zuvor. Experten schätzen, dass etwa 80 Prozent der Erdbevölkerung nie einen Fuß in ein Flugzeug gesetzt haben.
Corona-Pandemie zwingt zu anderem Lebensstil
Für Daniela Jacob war gerade erst wieder so ein Tag, an dem sie sich ärgern musste: als das Hilfspaket für die Lufthansa beschlossen wurde. Neun Milliarden Euro staatliche Unterstützung, ohne dass daran irgendwelche Bedingungen für mehr Klimaschutz geknüpft wurden. „Frankreich hat es uns richtig gut vorgemacht. Dort hat man die staatlichen Hilfen mit Klimaschutzforderungen verbunden. Man hätte sofort sagen können: Ihr bekommt die Unterstützung – aber keine Kurzstreckenflüge mehr in Deutschland! Zack. Das wäre perfekt gewesen und hätte dem Klima wirklich geholfen“, sagt die Klimaforscherin. Und macht weiter.
Wieder in Einklang mit der Natur leben
Dennoch glaubt sie daran, dass die Erfahrungen der Menschen aus der Corona-Zeit Wirkung haben werden. „Ich glaube, es ist vielen bewusst geworden, dass diese wahnsinnige Geschwindigkeit, mit der wir bis zum Frühjahr gelebt haben, nicht nur erstrebenswert ist. Viele haben auch realisiert, dass sie es nicht so schlimm fanden, dass sie manche Dinge nicht tun konnten, wie Fliegen oder dauernd Einkaufen.“ Der Professorin ist wichtig, dass man gerade in den Regionen auch die Chancen sieht, die sich aus dem Klimaschutz für den Arbeitsmarkt ergeben können. „Wir haben es in der Hand, gemeinsam demokratische Lösungen zu finden. Deshalb darf man nicht aufhören, nach dem Positiven zu suchen. Der Wandel hin zu einem klimaneutralen Deutschland 2050 oder hin zum 1,5-Grad-Ziel, das damit verbunden ist: Das eröffnet so viele Innovationsmöglichkeiten für die Firmen und neue Start-ups. Es ist eine Umbruchphase, das ist immer auch ein bisschen schmerzhaft. Aber es ist eigentlich eine schöne Idee, eine Ära mitzugestalten, die wieder mehr in natürlichen Ressourcen denkt – nicht zurück zur Natur, aber in Einklang mit der Natur. Wir kommen damit auch weg vom eher egozentrischen Leben der vergangenen 30 Jahre, hin zu mehr Verantwortung für die Umwelt, für die Nachbarn, für die Tierwelt. Und das tut einem selbst auch etwas Gutes.“
Fest steht für die Klimaforscherin, dass es eine riesige Gemeinschaftsaufgabe ist, die vor uns liegt: „Es kommt auf alle an. Es geht um den einzelnen Bürger. Es geht um die lokalen und regionalen Administrationen. Es geht um die Industrie. Aber es geht auch um die nationale und internationale Politik. Wir müssen alle zusammen an einem Strang ziehen, sonst schaffen wir diese Riesenaufgabe nicht, den Klimawandel zu begrenzen.“
Autorin: Claudia Klement-Rückel
aus: KDFB engagiert 8+9/2020