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Zwischen Fürsorge und Erschöpfung: Stress und seine Folgen

01.06.2025

Inmitten endloser To-do-Listen, unzähliger Termine und Verpflichtungen bleibt oft kaum noch Zeit, um durchzuatmen. Welche Auswirkungen dauerhafter Stress hat, und wie ein harmonischer Familienalltag gelingen kann.

Mit den Kindern zum Arzt gehen, das Meeting für morgen vorbereiten, am Nachmittag zum Fußballtraining und abends noch schnell einkaufen und kochen: „Mein Alltag ist ein Hamsterrad aus Terminen und To-dos. Alles dreht und wiederholt sich immer wieder, immer schneller, ohne Pause und grundsätzlich ohne Zeit für mich“, schildert Nadine Köberle aus Wasseralfingen. „Ich habe das Gefühl, dass ich immer auf Abruf bin. Die Kinder müssen zum Sport oder brauchen Hilfe bei den Hausaufgaben, der Haushalt ruft und natürlich auch mein Job. Es ist nie Ruhe, und trotzdem bleibt immer etwas auf der Strecke.“ Die 49-Jährige beschreibt ihr tägliches Pensum als eine permanente Herausforderung: zu wenig Schlaf, zu viel Haushalt und Verantwortung für alles und jeden, zu viel Druck in der Arbeit – und zu wenig Zeit zum Luftholen.

„Es ist nie Ruhe, und trotzdem bleibt immer etwas auf der Strecke“

Das Elterndasein bringt Verpflichtungen und Aufgaben mit sich, die sowohl körperliche als auch geistige Stärke und Ausdauer abverlangen. Es braucht viel Hingabe, unermüdliche Geduld und eine große Portion Flexibilität, um all dem gerecht zu werden. Dabei wird dieser enorme Einsatz oft als selbstverständlich angesehen und von einer leistungsorientierten Gesellschaft erwartet – insbesondere von Frauen. Schließlich haben sie schon immer Kinder erziehen, die Familie versorgen und den Haushalt meistern müssen. Warum sollte es also heute, in einer Zeit, in der technische Errungenschaften den Alltag erleichtern, anders sein?

„Ich habe größten Respekt vor allen Eltern, die so vieles bewerkstelligen müssen in der heutigen Zeit und sich trotz aller Herausforderungen für eine eigene Familie und für Kinder entscheiden“, sagt Heidemarie Brosche. Die frühere Lehrerin aus Friedberg in Bayern ist selbst Mutter und hat zahlreiche Bücher zum Thema Familie und Erziehung veröffentlicht. „Wenn beide Eltern viele Wochenstunden arbeiten – ob aus finanziellen Gründen oder weil sie sich bewusst dazu entschlossen haben – sind sie dadurch stark beansprucht. Sie wollen gute Eltern sein, ihren Kindern eine schöne Kindheit bieten und gleichzeitig ihren eigenen Erwartungen gerecht werden. Dieser Druck, der heutzutage auf Eltern und besonders auf Müttern lastet, ist immens. Viele fühlen sich zwischen den Alltagsanforderungen und ihrem Wunsch, alles richtig zu machen, oft zerrieben.“

Denn Kinderbetreuung, Haushaltsführung, Terminorganisation und Finanzmanagement kommen oft zusätzlich zu einem Beruf, der ebenfalls fordert. So führen diese zahlreichen Aufgaben bei vielen zu enormem Stress, der sowohl den Körper als auch die Seele belasten und die Gesundheit nachhaltig beeinträchtigen kann: Frauen, die einer andauernden Überforderung ausgesetzt sind, leiden oft unter schweren Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und nicht selten auch unter Depressionen.

Im Hamsterrad des Alltags: Für viele nehmen Termine, Haushalt und Verpflichtungen
kein Ende.

Tatsächlich kann dauerhafter Stress Frauen besonders hart treffen: So wird das Stresshormon Cortisol, das in akuten Belastungssituationen schützt, überproduziert, was langfristig eine Reihe von physischen und psychischen Beschwerden auslösen kann. Dazu gehören Haarausfall, Angststörungen, ein erhöhtes Risiko für Autoimmun- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie eine mögliche Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit, die zu Kinderlosigkeit führen kann.

„Die Destabilisierung der familiären und partnerschaftlichen Beziehung kann ebenfalls hinzukommen“, gibt Felicitas Römer, Paar- und Familientherapeutin sowie Autorin aus Hamburg, zu bedenken. „Da bleibt vieles auf der Strecke, was Bindung und Beziehung fördert. Für einen aufmerksamen, liebevollen und einfühlsamen Umgang miteinander und für gegenseitiges Interesse fehlt dann oft die Kraft“, so Römer. Die vierfache Mutter begleitet seit über 15 Jahren betroffene Paare und Familien durch herausfordernde Zeiten. Sie weiß, welche Folgen der zermürbende Dauerstress mit sich bringen kann. „Viele Frauen fühlen sich zunehmend alleine und überfordert, weil sie meinen, für alles zuständig sein zu müssen. Sie verlieren sich selbst oft aus dem Blick. Was sie brauchen oder was sie sich wünschen, wissen sie irgendwann gar nicht mehr“, stellt Felicitas Römer fest.

„Manchmal ticke ich einfach aus“

Dieser Zustand führt nicht selten zu Spannungen und Missverständnissen – innerhalb der Partnerschaft, im Freundeskreis oder in der Familie – und kann sich auch auf die Kinder auswirken. „Wenn sie nicht sofort aufräumen oder zum Essen kommen oder irgendetwas wieder vergessen, dann kann ich manchmal richtig austicken. Ich warte nur darauf, um explodieren zu können“, erzählt die zweifache Mutter Nadine Köberle. „Es tut mir auch sofort leid, dass ich den ganzen Druck dann an den Kindern auslasse, aber ich verliere einfach die Kontrolle und habe keine Kraft mehr, rational gegenzusteuern.“

Ausgelaugt und ausgequetscht: Viele Frauen geraten durch Dauerstress im Alltag an ihre Grenzen – mit spürbaren gesundheitlichen Folgen.

Wenn Eltern dauerhaft überlastet sind, fällt es ihnen schwerer, einfühlsam zu reagieren und präsent zu bleiben. Die Energie, auf die emotionalen Bedürfnisse der Kinder einzugehen, schwindet – und genau das bleibt nicht folgenlos. Kinder spüren die angespannte Atmosphäre, was sich wiederum negativ auf ihr Sicherheitsgefühl und ihr Verhalten auswirken kann. Es entsteht eine belastende Rückkopplung: gereizte Eltern, verunsicherte Kinder, ein angespanntes Miteinander.

„In diesen Situationen ist es wichtig, achtsam miteinander umzugehen und in Verbindung zu bleiben – auch und gerade dann, wenn der Alltag laut, hektisch und fordernd ist“, sagt Autorin Heidemarie Brosche. „Wer ehrlich über Belastungen spricht und aktiv zuhört, kann Spannungen entschärfen, bevor sie das Familienklima dauerhaft belasten“, so Brosche weiter. Eine offene Kommunikation schaffe Nähe und könne allen helfen, sich gesehen und verstanden zu fühlen. Denn Kinder spüren immer, wie es den Eltern geht, und leiden unter der belastenden Atmosphäre. Besonders in den ersten Lebensjahren reagieren sie sehr sensibel auf elterlichen Stress, ohne diesen jedoch einordnen zu können.  Manche ziehen sich zurück, andere entwickeln ein auffälliges Verhalten. Wieder andere geben sich selbst die Schuld an der Belastung der Eltern – mit langfristigen Folgen für ihr Selbstwertgefühl. „Eltern dürfen schwierige Situationen nicht totschweigen und so tun, als ob alles in Ordnung wäre“, erklärt Brosche. „Es ist wichtig, altersgemäß, aber offen mit den Kindern zu sprechen, damit sie nicht das Gefühl bekommen, verantwortlich für die schlechte Stimmung zu sein.“ Gleichzeitig müssten Eltern ihre eigenen Grenzen kennen und sich bewusst Zeit für sich selbst nehmen. Selbstfürsorge ist kein Zeichen von Egoismus, sondern ein wichtiger Schritt, um Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.

„Man muss zunächst einmal auf die eigenen Muster und Gewohnheiten schauen und dabei sehr ehrlich mit sich selbst sein“, empfiehlt Paar- und Familientherapeutin Felicitas Römer. „Vielleicht muss ich mich nicht immer für alles verantwortlich fühlen – vielleicht habe ich mir das nur mal angewöhnt? Vielleicht aus Angst, die Kontrolle zu verlieren oder weil ich als Kind schon so viel Verantwortung tragen musste? Zudem wäre es gut herauszufinden, was mich innerlich antreibt und was ich brauche oder wir als Paar regelmäßig brauchen, um uns zu erholen und wieder in Balance zu kommen.“

„Es kann und muss nicht immer alles perfekt sein“

Auch auf praktischer Ebene gebe es Entlastungsmöglichkeiten: Aufgaben könnten umverteilt oder bewusst abgegeben werden. Freunde, Nachbarn oder Familienmitglieder könnten dabei eine wertvolle Unterstützung im Alltag sein. „Manchmal ist zu viel Stress auch ein Zeichen dafür, dass wir bestimmten inneren Themen ausweichen“, so Römer weiter. „Wer sich ständig mit Arbeit überlädt, vermeidet dadurch, sich mit den eigenen Bedürfnissen auseinandersetzen zu müssen. Viele Menschen müssen das erst wieder lernen, wenn sie im Burn-out gelandet sind.“

Um dem vorzubeugen, ist es wichtig, bewusst Prioritäten zu setzen. Nicht alles, was auf der scheinbar endlosen To-do-Liste steht, muss sofort oder überhaupt erledigt werden. Vieles lässt sich verschieben, vereinfachen oder auch ganz streichen. „Man sollte sich realistische Ziele setzen und sich von dem Gedanken befreien, immer alles schaffen zu müssen. Es kann und muss nicht immer alles perfekt sein“, betont Autorin Heidemarie Brosche. „Die Kinder entwickeln sich auch dann gut, wenn der Haushalt mal nicht glänzt. Oft ist es viel wertvoller, den Alltag für gemeinsame Auszeiten zu nutzen.“ Eine halbe Stunde echter Zuwendung – ein Spiel, ein Spaziergang, ein Gespräch – kann viel mehr bewirken als der perfekt gefaltete Wäscheberg. Solche Momente schaffen Nähe und hinterlassen bleibende Erinnerungen.

„Kostbares Gut pflegen und schützen“

„Unsere Familie sollte der Ort sein, an dem wir uns fallen lassen und einfach wir selbst sein dürfen“, sagt Tanja Pichlmeier, stellvertretende Landesvorsitzende im KDFB und Vorsitzende des Arbeitskreises „Junge Frauen“ im KDFB-Diözesanverband Regensburg. „Familie ist, zu wissen, dass wir uns immer auf den anderen verlassen können, dass wir immer füreinander da sind, egal was passiert. Familie gibt uns Halt und Freude im Leben und ist durch nichts zu ersetzen“, so Pichlmeier. Es gilt, dieses kostbare Gut zu pflegen und zu schützen. Und es gilt auch, die Herausforderungen und Verantwortungen, die eine Familie mit sich bringt, besser zu verteilen. In guten wie in schweren Zeiten. Denn der Alltag von Eltern ist oftmals deshalb zermürbend, weil die Verantwortung ungerecht verteilt ist.

Aktuellen Zahlen zufolge verbringen Mütter in Deutschland durchschnittlich 27 Stunden pro Woche mit der Kinderbetreuung, während Väter rund 16 Stunden dafür aufwenden. Und selbst wenn beide Partner in Vollzeit arbeiten, übernehmen Frauen in Deutschland durchschnittlich 88 Prozent der Hausarbeit. Dabei geht es nicht um individuelle Schuld oder persönliche Versäumnisse, sondern um strukturelle Rahmenbedingungen, die dringend verändert werden sollten. „Diese ungleiche Verteilung überlastet die Frauen nicht nur, sondern benachteiligt sie insgesamt in ihrer beruflichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Aber es gibt Wege, dem zu entkommen“, ist Tanja Pichlmeier, selbst berufstätig und Mutter von drei Kindern, überzeugt. „Es ist Zeit, dass wir als Gesellschaft Care-Arbeit gerecht verteilen und den Müttern mehr Raum für Pausen schaffen.“ Unbezahlte Care-Arbeit müsse genauso anerkannt werden wie bezahlte Arbeit und gerecht verteilt werden. Nur so können sich Frauen ihre dringend benötigten Auszeiten im Alltag nehmen – und Familien in einer entspannten, liebevollen Umgebung gemeinsam wachsen.

Autorin: Andrea Bala

Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) ist ein unabhängiger Frauenverband mit bundesweit 145.000 Mitgliedern. Seit der Gründung 1903 setzt er sich für Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen in Kirche, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ein.
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