Wohltat Wasser: Ab ans Blaue!
Ob Meer, See oder Bach – Wasser tut gut. Seine Heilkraft für Psyche und Geist ist ebenso nachgewiesen wie die Wirksamkeit von verschiedenen Anwendungen auf den Körper. Auch im christlichen Glauben spielt Wasser eine bedeutende Rolle.
Einfach dasitzen und den Blick über das Meer schweifen lassen. Den Wellen beim Näherkommen und wieder Zurückweichen zuschauen. Dastehen und auf den See in der Abendstimmung sehen. Die Gedanken durch die Stille treiben lassen. Abends den kleinen Bach in der Nachbarschaft beim Fließen beobachten. Sich nach einem anstrengenden Tag durch sein Plätschern ein bisschen belebter fühlen.
Orte am Wasser üben eine große Anziehungskraft auf den Menschen aus. Nicht ohne Grund sehnen sich viele Menschen das Jahr über nach einigen Tagen am Strand, sei es am Meer oder an einem See.
Für viele ist der Strand ein Sehnsuchtsort. Häuser am Wasser erzielen Rekordpreise. Doch woher kommt diese Anziehungskraft?
Julia Scharnhorst ist Gesundheitspsychologin. Sie hat sich auf das Thema Stressabbau spezialisiert. Von ihr bekommt das Thema Wasser – und in besonderem Maße das Meer – Extrapunkte, wenn es um die mentale Gesundheit geht.
Dass die Natur allgemein und Wasser ganz besonders stresslindernd sei, zeigten viele Studien, sagt sie. „Nicht umsonst wird Meeresrauschen in vielen Arztpraxen eingesetzt, um die Patientinnen und Patienten zu beruhigen.“ Gerade das Meer könne man mit allen Sinnen erfahren – und das tut dem sonst von ständigen Reizen und einem hektischen Alltag umgebenen Menschen sehr gut. Die Meeresluft riechen, das Salz schmecken, das immer wiederkehrende Rauschen der Wellen hören, die Luft an der Haut spüren und unbegrenzt in die Weite schauen können – all das entspanne von Grund auf.
„Der Blick aufs Wasser und besonders auf das Meer hilft uns auch dabei, den Blick auf unsere aktuelle Situation zurechtzurücken. Mit diesem weiten Horizont dreht sich die Welt in diesem Moment nicht um die eigenen Probleme. Man merkt plötzlich, wie klein man ist. Das relativiert viele unserer Gedanken, und der Alltagskleinkram tritt in den Hintergrund“, erklärt Gesundheitspsychologin Julia Scharnhorst. Den Kopf frei bekommen, die Gedanken ordnen und Kraft tanken − all das geht am Meer wie von selbst.
Die als beruhigend und Stress mindernd geltende Farbe Blau spielt bei der Wirkung des Wassers eine nicht unwesentliche Rolle. Der Meeresbiologe Wallace J. Nichols hat für die Beziehung des Menschen zum Wasser einen eigenen Begriff entwickelt: „Blue Mind − blaues Bewusstsein − ein leicht meditativer Zustand, der sich durch Ruhe, Friedlichkeit, Einheit und ein allgemeines Glücks- und Zufriedenheitsgefühl mit dem Leben in diesem Augenblick auszeichnet. Es wird durch das Wasser selbst, aber auch durch mit Wasser zusammenhängende Elemente inspiriert, von der Farbe Blau bis zu solchen Wörtern, mit denen wir Gefühle beschreiben, die etwas mit dem Eintauchen zu tun haben. Dieser Zustand nutzt über Jahrtausende entstandene neurologische Verbindungen. Viele dieser Muster und Vorlieben im Gehirn werden erst jetzt dank innovativer Wissenschaftler und mit neuester Technik entdeckt“, erklärt Nichols in seinem gleichnamigen Bestseller „Blue Mind“.
Der blaue Planet ist zu 70 Prozent von Wasser bedeckt. Den Großteil seiner Entwicklungsgeschichte hat der Mensch in und mit der Natur verbracht. Er ist mit der Natur auf allen Ebenen – ob körperlich oder emotional – verbunden. An diese tiefe Verbundenheit rührt die enge Beziehung zu Gewässern.
Eine englische Studie zeigt, dass Menschen, die in der Nähe der Küste wohnen, nachweisbar glücklicher sind als andere. Doch nicht nur wer am Meer lebt oder seinen Urlaub dort verbringt, profitiert von den positiven und stresslindernden Auswirkungen des Wassers. „Der kleine See oder Bach um die Ecke lässt uns ebenfalls ruhiger werden. Sich solch ein Ziel in der Nähe für einen Spaziergang zu suchen, lohnt sich für unser Wohlbefinden auf jeden Fall“, ermutigt Gesundheitspsychologin Julia Scharnhorst.
Sie selbst hat einen ganz eigenen Weg gefunden, ihre Urlaubserlebnisse von der Nordsee zu Hause noch mal aufleben zu lassen. „Ich schreibe mir am Ende des Urlaubs immer selbst eine Postkarte und schreibe darauf, was gut für mich war.“ Zu Hause angekommen, liegt sie bald erinnernd im Briefkasten, vorne drauf: ein Bild vom blauen und geheimnisvollen Wasser.
Die Leichtigkeit des Seins
Der Mensch besteht zu 70 Prozent aus Wasser. Damit ist Wasser der wichtigste Baustoff im Körper. Wir brauchen es, um unsere Temperatur zu regulieren, zum Transport von Stoffen wie Sauerstoff, als Lösungsmittel unter anderem beim Verdauungsprozess oder zur Produktion von Hormonen und Neurotransmittern.
Vielleicht ist das mit ein Grund, dass sich der Mensch so zum Wasser hingezogen fühlt. Wasser ist nicht nur heilsam für die Seele, sondern auch für den Körper. Jeder kennt das gute Gefühl, wenn sich bei einem heißen Bad in der Wanne Muskelverspannungen lösen, Schmerzen verschwinden und der Körper sich regeneriert. „Stresshormone werden im Wasser reduziert, deshalb auch die entspannende Wirkung in der Wanne“, sagt Brita Karnahl, Sportwissenschaftlerin und Geschäftsführerin der Aquamedical-Akademie. Ein Bad senkt den Blutdruck und die Herzfrequenz, regt die Nierentätigkeit an, nimmt den Druck auf die Bandscheiben und entlastet die Muskulatur“, so Karnahl.
Schon in der Antike wurden Wasserkuren gegen Rheuma und Fieber verordnet. Griechische Ärzte nutzten das Schwimmen bei Versteifungen und inneren Krankheiten.
Ihr Vorbild war die Wasserkur der Ägypter. Im vierten Jahrhundert vor Christus verfasste der Gelehrte Hippokrates die ersten wissenschaftlichen Abhandlungen über die Anwendungsmöglichkeiten des Wassers. Als Erster behauptete er, dass kaltes Wasser wärme, warmes dagegen kühle.
Er nutzte Güsse mit kaltem Wasser bei Starrkrampf, Rheuma und Gicht und ließ Patienten bei Fieber viel Wasser trinken. Erst im 17. Jahrhundert aber entstanden die Grundlagen zur heutigen Hydrotherapie (Hydro: altgriechisch hydor für Wasser). Verschiedene Behandlungen nutzen seitdem die heilsame Wirkung von Wasser. Einige davon sind auch zu Hause möglich.
Balneotherapie
Balneotherapie heißt übersetzt Bädertherapie. Bei den Anwendungen kommt kein gewöhnliches Wasser zum Einsatz, die entscheidende Rolle spielen die Inhaltsstoffe. Meer-, Thermal-, Mineral- oder Schwefelwasser sowie Moor und Schlamm kommen zur Anwendung als Trinkkuren beziehungsweise Bäder. „Thermalwasser ist gut für den Bewegungsapparat, insbesondere für die Gelenke. Schwefelbäder eignen sich für die Behandlung von Gelenkproblemen, bei Rückenleiden oder Knieproblemen, Solebäder helfen bei Atemwegserkrankungen oder bei Schuppenflechte“, sagt Christian Alex, ärztlicher Berater des Bayerischen Heilbäderverbands. Grundsätzlich ist die Balneotherapie für alle Menschen geeignet. Vorsicht ist allerdings bei hohem Blutdruck geboten.
Thalassotherapie
Thalassotherapie leitet sich von dem griechischen Wort Thalassa für Meer ab. Vor allem Asthmatiker und Heuschnupfengeplagte profitieren von der Meeresluft. Aerosole – Partikel aus Jod und Salz in der Luft – regen den Schleimtransport in den Atemwegen an. Gleichzeitig fördert das eingeatmete Salz die Durchblutung und Befeuchtung der Schleimhäute. Das lässt sich auch zu Hause anwenden: Salzwasserspülungen helfen bei Halsschmerzen. Selbst das Gurgeln mit Leitungswasser hilft gegen Erkältungen. Laut Studien sinkt bei regelmäßigem Gurgeln das Risiko, an einem Atemwegsinfekt zu erkranken, um 40 Prozent.
Hydrotherapie: Kneippkur
Die Hydrotherapie arbeitet mit reinem Wasser, dessen Temperatur, Druck und Widerstand. Dazu gehören Kneippkuren und Aquafitness. Die Kneippkur basiert auf dem Wechsel von warmem und kaltem Wasser. Die wechselnden Temperaturreize stärken die Abwehr und kurbeln den Kreislauf an. Die Behandlungen erfolgen mit Waschungen, Wassertreten, Bädern, Güssen, Auflagen und Wickeln. „Insbesondere die kurz dauernden Kaltanwendungen wirken gefäßtrainierend und durchblutungsfördernd“, sagt Christina Haubrich, Präsidentin des Kneipp-Bundes. „Wird diese Reiztherapie regelmäßig betrieben, lässt sich damit nicht nur Entspannung erzielen. Sie stärkt auch die Resilienz und wirkt abhärtend gegen Stress“, so Haubrich weiter.
Wichtig für die Auslösung des Kalt-Reizes ist eine Wassertemperatur, die deutlich unter der Hauttemperatur liegt, etwa unter 15 Grad. Bei Anwendungen zu Hause sollte man lang andauernde Kaltanwendungen vermeiden und bei verschiedenen Anwendungen einen Zeitabstand von einigen Stunden einhalten. Eine Kneippkur für zu Hause könne laut Haubrich mit einem Knieguss mit kaltem Wasser nach der morgendlichen Dusche beginnen, um morgens gleich den Kreislauf zu trainieren. Ein Armbad gelte als die „Tasse Kaffee des Kneippianers“ und erfrische am Nachmittag bei Abgeschlagenheit und Müdigkeit, denn es fördert die Durchblutung von Armen, Herz und Lunge. Der kalte Gesichtsguss wiederum sei beliebt als „Kneippscher Schönheitsguss“. Er wirkt nicht nur belebend, schenkt ein frisches Aussehen und fördert die Durchblutung der Haut, sondern kann auch bei Kopfschmerzen, müden Augen und Erschöpfung helfen.
Aquafitness
Aquafitness ist ein Ganzkörpertraining im Wasser – ohne Verschleiß. Denn durch den Auftrieb muss das eigene Körpergewicht nicht getragen werden, das schont die Gelenke. Gleichzeitig werden durch den Widerstand des Wassers alle Muskelgruppen trainiert – jeder Bewegung wird ein erheblich größerer Widerstand entgegengesetzt als an der Luft. Anders als im Fitnessstudio spürt man im Wasser die Leichtigkeit des Seins und trainiert Kraft, Ausdauer, Koordination und Beweglichkeit. Lunge und Herzkreislauf werden durch das tiefe Atmen im Wasser gestärkt. „Wir nutzen die physikalischen Eigenschaften des Wassers wie ein Trainingsgerät und trainieren die Mit- und die Gegenspieler der Muskulatur in einer Übungsabfolge. Mit dem Auftrieb wird die Arbeit der Muskulatur erleichtert. Gegen den Auftrieb kräftigen wir die Muskulatur“, sagt die Sportwissenschaftlerin Brita Karnahl. Daraus resultiert ein hoher Energieverbrauch, der zu erhöhter Fettverbrennung führt, den Blutdruck senkt und das Lymphsystem anregt. Bei Herzschwäche rät sie von der Unterwassergymnastik ab.
Schwimmen
Ähnliche Ergebnisse lassen sich auch beim Schwimmen erzielen. Regelmäßiges Schwimmen senkt den Blutdruck und stärkt die Atemmuskulatur. Denn das Ausatmen unter Wasser ist intensiver und tiefer als an der Luft – es braucht 60 Prozent mehr Kraftaufwand. Weil der Wasserdruck größer als der Innendruck des Körpers ist, drückt das Wasser das Blut aus den Extremitäten in Richtung Herz und Lunge. Das Herz reagiert mit verstärkter Tätigkeit und befördert die zusätzliche Blutmenge mit jedem Herzschlag effizienter, sodass bis zu 30 Prozent mehr Blutvolumen zirkuliert.
So entspannen die Arterien, leisten dem Blutfluss weniger Widerstand und versorgen die Muskeln mit mehr Sauerstoff. Schwimmen stärkt zudem die Rückenmuskulatur und den Oberkörper, streckt und verlängert Muskeln, Gelenke und Bänder und verbessert sogar die Knochendichte.
Und: Schwimmen setzt Endorphine frei, das mindert den Stress und entspannt.
Die Kraft der Taufe
Seit Urzeiten besitzt Wasser auch eine spirituelle Bedeutung. Im Christentum entfaltet sich seine symbolhafte Wirkung insbesondere bei der Taufe, einem Ereignis, das ein Leben lang Kraft spenden kann.
Wer eine katholische Kirche betritt, findet am Eingang ein Becken mit Weihwasser – ein Sinnbild für die Taufe. „Wasser schenkt Leben und Wasser reinigt. Bei der Taufe gelingt es, diese Verbindungen herzustellen“, sagt Andrea Schwarz, Autorin theologischer und spiritueller Bücher.
Die Taufe ist das Eingangstor zum Glauben. Wer sich am Eingang eines Kirchenraums mit Weihwasser bekreuzigt, erinnert sich an seine Taufe. „Eine wunderschöne Idee“, findet Andrea Schwarz.
Im Segensgebet über das Wasser heißt es:
„Gib, dass die Wasser des Lebens für uns fließen und uns Rettung bringen.“ So erinnert bei der Taufe lebendiges Wasser an Leben und im christlichen Sinn an „ewiges Leben“.
Freiheit und Liebe erleben
Wasser reinigt – nach altem Sprachgebrauch soll die Taufe von der Erbsünde befreien. Andrea Schwarz formuliert das für heute so: „In der Taufe sage ich Ja zur Annahme des Titels ,Kind Gottes‘ – und damit kann ich in der Freiheit der Kinder Gottes leben. Das ,Ja‘ in der Taufe ist die Absage an all das, was uns in einem unguten Sinn fesselt und bindet, was uns unfrei macht, was uns so besetzt, dass es uns besessen macht.“ Die Berührung mit dem geweihten Wasser erinnert an die große Freiheit eines jeden Menschen vor Gott. Andrea Schwarz fasst dieses Geschehen noch genauer: „Die Erbsünde, das ist die Gebrochenheit des Menschen – das ist der Tod, das ist die Endlichkeit, die Begrenztheit, das ist das Un-heile in uns, all das, was in uns nach Erlösung schreit. In der Taufe erteilen wir all dem eine Absage: Das Un-heile hat nicht das letzte Wort, die Begrenztheit kann überstiegen werden, das Leben ist stärker als der Tod. Wir widersagen dem, was uns fesselt – und wir bekennen unseren Glauben an das, was uns wirklich frei macht, an den, der das Leben und unsere Lebendigkeit will – und wir geben uns in die Gemeinschaft derer hinein, die in einem solchen Sinn auf dem Weg sind.“ Es ist eine breite Gemeinschaft, denn: „Taufe ist das erste Sakrament, ein christliches, kein katholisches wie Eucharistie und Firmung. So verbindet es die getrennten Kirchen miteinander“, so erklärt Andrea Schwarz.
Das Erinnern an die Taufe ist heilsam und kann den eigenen Glauben stärken. Allerdings muss jede*r den Weg erst selbst entdecken und gehen. Denn die meisten Christen werden als Kinder getauft. Der Theologe Karl Rahner sagt dazu: „Die Kindertaufe kommt also zu ihrem vollen Sinn und Ziel erst im Erwachsenen, dass der Mensch in Glaube, Hoffnung und Liebe diese ihm zugesagte Liebe Gottes annimmt. Der Christ kann immer wieder das Ereignis der Taufe gegenwärtig werden lassen und annehmen.“
Die von Gott zugesagte Liebe wahrzunehmen, dabei hilft Andrea Schwarz vor allem jede Art der Begegnung mit Wasser in der Natur. „Das kann ein Bach sein, ein kleiner See, aber vor allem natürlich das Meer. Denn da kommt dann noch der Wind dazu, der mich zärtlich berührt oder kräftig zaust.“ Stundenlang kann sie am Meer sitzen, und einfach nur schauen und hören und spüren und sein. „Dieser Gott sagt, ich bin der ich bin. Es ist die Einladung, dass man dieses Sein bewusst annimmt. Und ich glaube, das geht für spirituell offene Menschen mit Wasser, Feuer, Erde und Wind besser als ohne Elemente“, sagt Andrea Schwarz.
Buchtipp
Wallace J. Nichols: Blue Mind. Wie Wasser uns glücklicher macht, Hirzel Verlag, 2020, 25 Euro. Der Meeresbiologe Wallace J. Nichols beleuchtet in seinem Wissenschaftsbuch auf erzählerische Weise den vielfachen Einfluss des nassen Elements auf die menschliche Psyche.
Autorinnen: Claudia Klement-Rückel, Katrin Otto und Anne Granda