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Spendenaktion: Auf der Suche nach Zukunft

29.09.2022

Sie leiden im Stillen: Viele Mädchen und Frauen in Afghanistan dürfen weder Schulen besuchen noch berufstätig sein. Sie und ihre Familien hungern, die medizinische Versorgung im Land ist unzureichend. Der Afghanische Frauenverein in Hamburg sorgt dafür, dass afghanische Mädchen lernen können und leistet in Mutter-Kind-Kliniken lebensnotwendige Hilfe. Der Frauenbund ruft mit einer Spendenaktion dazu auf, den Mädchen und Frauen Afghanistans zu helfen.

Der 22. März war ein schwarzer Tag für die Schülerinnen des Bojasar-Mädchengymnasiums, etwa 35 Kilometer nördlich von Kabul. Dabei hatte der Tag so vielversprechend angefangen: Endlich durften Mädchen ab zwölf Jahren wieder zur Schule gehen. Seit der Machtübernahme der Taliban im August letzten Jahres war es ihnen verboten gewesen. Doch am 22. März konnten die Mädchen morgens wieder loslaufen, um zu lernen.
Mit Uniformen, Büchern, Heften und Stiften stattete sie die Schule aus, denn die allermeisten Familien wären nicht in der Lage, dies für ihre Kinder zu beschaffen. Das Glück des ersten Schultags währte aber nur kurz. Nach einer Unterrichtsstunde war Schluss. Per WhatsApp erreichte die Schulen ein Erlass des Bildungsministeriums, dass Mädchen ab zwölf Jahren unverzüglich nach Hause zu schicken seien.
Die Reaktion: pure Verzweiflung und viele Tränen. Eine von den betroffenen Schülerinnen ist die 16-jährige Zia-o. „Ich liebe es, zur Schule zu gehen“, sagt sie. „Ich möchte eine Ausbildung machen und meinem Land dienen. Und ich weiß nicht, was jetzt daraus werden kann.“
Das Mädchengymnasium in Bojasar ist eine von fünf Schulen, die vom Afghanischen Frauenverein in Hamburg getragen werden. Die Schülerinnen allein an dieser Schule kommen aus 22 Dörfern in der Umgebung. Viele laufen bis zu zwei Stunden zu ihrer Schule. Schon seit 30 Jahren leistet der Verein, der von zwölf Deutsch-Afghaninnen gegründet wurde, wichtige Entwicklungsarbeit für die Mädchen und Frauen im Land. Nun, da nach dem Abzug der internationalen Truppen und der Machtübernahme der Taliban die meisten internationalen Hilfsorganisationen ihre Arbeit im Land eingestellt haben, sind die Menschen mehr denn je auf Unterstützung angewiesen. Millionen kämpfen um das nackte Überleben.

So können Sie Mädchen und Frauen in Afghanistan helfen

Der KDFB ruft seine Mitglieder auf, Mädchen und Frauen in Afghanistan zu helfen. Die Spendengelder gehen direkt an den Afghanischen Frauenverein in Hamburg, der zuverlässig Hilfe vor Ort leistet. Unterstützt werden gezielt Mädchenbildung und Mutter-Kind-Kliniken in ländlichen Regionen. Damit Zukunft möglich wird!
Spendenkonto: Katholischer Deutscher FrauenbundLiga Bank Regensburg
IBAN: DE97 7509 0300 0202 2085 55
BIC: GENODEF1M05
Stichwort: Afghanistan
Bis zu einem Betrag von 300 Euro reicht eine Kopie des Bankauszuges für den Spendennachweis beim Finanzamt aus. Dafür ist es zwingend notwendig, bei der Überweisung im Betreff das Wort „Spende“ zu vermerken. Spendenbescheinigungen werden ab einem Betrag von mehr als 300 Euro automatisch ausgestellt, ansonsten erfolgt eine Spendenbescheinigung auf gesonderte Nachfrage.

Unterwegs im Hindukusch: Die Vorsitzende des Afghanischen Frauenvereins, Nadia Nashir, ist regelmäßig vor Ort unterwegs

Christina Ihle ist die Geschäftsführerin des Afghanischen Frauenvereins und ebenso wie die Vorsitzende des Vereins, Nadia Nashir, jeden Morgen in direktem telefonischen Austausch mit den 190 Kolleg*innen in Kabul und an anderen, oft abgelegenen Orten Afghanistans. „Seit dem Abzug der internationalen Truppen vor über einem Jahr hat leider eine fatale Entwicklung eingesetzt. Wir haben in den letzten zwölf Monaten die Entstehung einer humanitären Krise gesehen, wie wir sie bisher noch nicht erlebt hatten. Innerhalb kürzester Zeit ist über die Hälfte der Bevölkerung vom Hunger bedroht. Die Basisversorgung der Bevölkerung, die zuvor zu 75 Prozent durch internationale Gelder finanziert wurde, steht in allen wichtigen Bereichen kurz vor dem Kollaps, seit diese Gelder mit der Machtübernahme eingefroren wurden. Viele haben ihre Arbeit verloren, und viele Frauen dürfen ihren Beruf nicht mehr ausüben. Wer vor einem Jahr noch zur Mittelschicht gehörte, ist heute auf Lebensmittelspenden angewiesen“, berichtet Christina Ihle. Bettelnde Frauen, in Burkas gehüllt, die mit ihren Kleinkindern auf der Straße sitzen, sind zu einem Bild der unermesslichen Verzweiflung geworden.
Doch die Geschäftsführerin erlebt auch immer wieder: „Der Wert, den die afghanischen Familien Bildung zuweisen, ist immens. Eltern tun Unfassbares, um gerade auch ihren Mädchen Bildung zu ermöglichen. Als es im letzten Jahr verstärkt zu bewaffneten Unruhen im Land kam, sind viele Familien nach Kabul geflüchtet. Doch als die Schuljahresabschlussprüfungen ihrer Töchter anstanden, waren sie plötzlich wieder da – trotz der Gefahren für die Familie.“ Gerade jetzt, wo der Zugang zum Unterricht für die älteren Mädchen beschränkt ist, versuchen die Eltern alle Möglichkeiten zu nutzen, die noch bleiben. Als im März das neue Schuljahr startete, staunten die Lehrer*innen der gemischten Safaa-Grundschule nicht schlecht. Vor den Schultoren standen nicht wie angemeldet 1 200 Grundschülerinnen und Grundschüler, sondern gleich 2 000 Kinder. Alle wollten gerne zur Schule gehen. Die Verantwortlichen des Afghanischen Frauenvereins zögerten nicht lange: Quasi über Nacht mieteten sie ein Nebengebäude, statteten es innerhalb einer Woche aus und engagierten neue Lehrerinnen und Lehrer. Damit konnten nochmals für 600 Erst- und Zweitklässler*innen Schulplätze geschaffen werden. Für den Unterhalt der neuen Schulplätze und die Gehälter der Lehrkräfte ist der Verein nun dringend auf Spenden angewiesen.
„Unsere Schulen haben einen sehr guten Ruf. Anders als in Afghanistan üblich, haben die Klassen eine überschaubare Anzahl an Schülerinnen oder Schülern, sodass es sich besser lernen lässt. Außerdem ist der Schulbesuch, das ist immens wichtig, bei unseren Schulen komplett kostenlos“, so Christina Ihle. 500 ältere Schülerinnen dürfen im Moment nicht die weiterführenden Schulen der Vereins besuchen. Diese werden vom Frauenverein mit Homeschooling-Materialien versorgt, damit sie weiterlernen können.
Afghanistan ist eines der Länder, in denen die größten geschlechterspezifischen Unterschiede im Zugang zu Bildung bestehen. Über 70 Prozent der Frauen in Afghanistan können nicht lesen. Doch eine bessere Zukunft für das Land wird es nur geben, wenn die Fähigkeiten der Frauen genutzt werden. Das ist auch der Grund, warum der Afghanische Frauenverein sich von Anfang an besonders auf die Unterstützung von Mädchen und Frauen ausgerichtet hat. „Wenn man Frauen und Mädchen mit Bildung und Ausbildung fördert und ihnen so die Möglichkeit gibt, eigenes Einkommen zu erwirtschaften, dann ändert sich automatisch auch die Wahrnehmung der Frauen in ihren Familien und in der Dorfgemeinschaft. Es setzen innerhalb einer Gemeinschaft Entwicklungsschritte ein, die atemberaubend sind. Mädchen und Frauen zu fördern, ist das effektivste Mittel, um Entwicklung in Gesellschaften zu ermöglichen“, erläutert Christina Ihle, die seit 20 Jahren in der Entwicklungsarbeit tätig ist. Doch die Taliban-Regierung drängt Mädchen und Frauen aus dem öffentlichen Leben, sie werden unsichtbar gemacht.

Familien in auswegloser Lage

Die Arbeit des Afghanischen Frauenvereins ist in den letzten Monaten sehr viel komplexer geworden. 60 Prozent der Mitarbeiter*innen in Afghanistan sind weiblich. Damit sie weiter zur Arbeit kommen können, was nur noch von Männern begleiteten Frauen möglich ist, musste in den sicheren Transport investiert werden. Auch die Herausforderung, Spendengelder sicher ins Land zu bringen, konnte der Verein lösen. „Wir sind in engem Austausch mit allen in Afghanistan tätigen Organisationen in Deutschland, ebenso wie mit der Bundesregierung und den UN, die ebenfalls verschiedene Geldtransferkanäle haben“, berichtet Christina Ihle aus der täglichen herausfordernden Praxis.
Zu den Freiheitsbeschränkungen, die Mädchen und Frauen erdulden müssen, kommt noch die ausweglose wirtschaftliche Lage. Den ersten bitterkalten Winter mit zu wenig Nahrung und keinem Geld für Heizmaterialien haben viele kleine Kinder nicht überlebt. Diese Erfahrung hat etliche Familien zu drastischen Schritten bewegt. „Es setzt eine Überlebensspirale in Gang. Zunächst versucht der Vater als Tagelöhner Geld zu verdienen. Wenn das nicht gelingt, entschließen sich viele Familienväter, ein Organ zu spenden. Es hat sich ein richtiger Markt entwickelt. 300 Dollar bringt eine Niere. Das nehmen viele Väter auf sich, um die Familie für zwei, drei Monate durchzubringen“, berichtet Christina Ihle. Der letzte Ausweg, um die eigenen Kinder vor dem Verhungern zu bewahren, scheint aus westlicher Sicht unfassbar. Da viele Familien schon eigene Kinder verloren haben, versuchen sie alles, um möglichst viele durchzubringen. Der Verkauf eines Kindes, um die anderen zu retten, ist deshalb der letzte verzweifelte Schritt. Das Alter von Mädchen, die an die Familie ihres zukünftigen Ehemannes verkauft werden, ist durch die Armut drastisch nach unten gerutscht. Den Eltern bleibt nichts als zu hoffen, dass es dort ernährt werden kann.

Letzte Rettung Mutter-Kind-Klinik

Medizinische Basisversorgung besonders für Kinder leisten die Mutter-Kind-Kliniken in abgelegenen Gegenden

Auch die 26-jährige Sharifa hat schon zusehen müssen, wie eines ihrer Kinder starb. Im afghanischen Bergland war medizinische Hilfe für sie unerreichbar. Etwa 2 000 einfache Kliniken für die medizinische Basisversorgung am Land liegen seit letztem Jahr brach. Den Afghanischen Frauenverein erreichen fast täglich Anfragen, ob er nicht noch mehr Mutter-Kind-Tageskliniken übernehmen könnte. Zusätzlich zu den vier bisher schon betriebenen Kliniken hat der Verein in diesem Jahr drei weitere übernommen. Eine befindet sich im Bau und soll bis zum Ende des Jahres mit den Behandlungen starten. In jeder arbeitet jeweils ein zehnköpfiges Team, in dem eine Ärztin und ein Arzt, eine Hebamme, eine Zuständige für das Impfprogramm und Ernährungsexpert*innen vertreten sind. Auch für diese lebensrettende Arbeit braucht der Verein finanzielle Unterstützung.
Sharifa ist erleichtert, dass einige Stunden Fußmarsch von ihrem Dorf nun die kleine Qulab-Klinik Patient*innen behandelt: „Bevor die Klinik neu eröffnet wurde, hatten wir keine Möglichkeit mehr, einen Arzt zu finden. Die Fahrt nach Kabul ist für uns zu teuer, und wir haben kein Geld für die Behandlung dort. Also mussten wir versuchen, uns selbst zu helfen. Im Winter habe ich mein jüngstes Kind verloren. Es ist ein Segen für uns, dass jetzt diese Klinik geöffnet hat. Sie ist sehr voll, und wir müssen lange Fußmärsche machen, um sie zu erreichen. Aber das Warten lohnt sich. Alle Kinder, die ich bisher dorthin gebracht habe, wurden wieder gesund“, erzählt die Mutter.
Zur Senkung der Mutter-Kind-Sterblichkeit, die während des letzten Jahres rapide angestiegen ist, sind die Kliniken unentbehrlich. Unterernährte Kinder können dort effektiv mit spezieller Aufbaunahrung behandelt werden. In einer Klinik wird pro Tag etwa 100 kleinen und großen Patient*innen geholfen. „Der Betrieb einer Klinik mit Gehältern, Medikamenten, Strom, Wasser und Solarpanel kostet etwa 120 000 Euro pro Jahr“, erklärt Christina Ihle.
Bei der dreijährigen Hasiba hat die Behandlung in der vom Afghanischen Frauenverein betriebenen Bazari-Klinik das Leben komplett verändert. Ihre Mutter Bibi Gul erzählt: „Meine Tochter konnte nicht laufen, deshalb habe ich sie hierhergebracht. Doktor Tuba, die Ärztin, hat sie behandelt, wir kommen regelmäßig, und immer wieder bekommen wir neue Übungen und Bandagen. Ich bin sehr glücklich, dass Hasiba jetzt laufen kann und mit den anderen Kindern spielt. Manchmal ist sie die Wildeste von allen. Das macht mich sehr glücklich.“
Doch Hasiba und die Mädchen Afghanistans werden nur dann eine Zukunft haben, wenn die internationale Gemeinschaft das Land und seine Frauen nicht vergisst. Vielleicht wird Hasiba eines Tages ihre Beine nutzen können, um zur Schule zu laufen und zu lernen.

Autorin: Claudia Klement-Rückel

Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) ist ein unabhängiger Frauenverband mit bundesweit 145.000 Mitgliedern. Seit der Gründung 1903 setzt er sich für Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen in Kirche, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ein.
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