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Ausgebremst: Corona und die Frauen

KDFB engagiert Oktober / November 2021 Titel

27.09.2021

Corona ist auch eine Krise der Frauen. Ob Mutter, Studentin oder Schulabsolventin – sie alle traf die Pandemie mit Wucht. Während bei den einen Erschöpfung und Sorge um die Kinder beherrschend sind, leiden die anderen unter den Einschnitten, die ihre berufliche Zukunft betreffen. Einblicke in Frauenleben während der Pandemie.

 

Manches kommt nie wieder: die Schulabschlussfahrt, ein Auslandsjahr nach der Schule. Kostbare Momente auf dem Weg ins selbstbestimmte Leben. Doch für die beiden Corona-Jahrgänge fiel alles aus. Ersatzlos gestrichen. Ebenso wie die Berufsorientierung. Wer gerade den Schulabschluss ablegt und sich für einen Berufsweg entscheiden muss, braucht Informationen und Wegbegleitung. Aber was tun, wenn Praktika, Infotage und Austausch mit anderen nicht möglich sind? Statt großer Pläne machen sich Zukunftsängste breit. Etwa drei von vier jungen Frauen (71 Prozent) unter 30 Jahren sagen laut einer Studie der pronova BKK, dass die Pandemie ihr Leben gravierend und nachhaltig zum Negativen verändert hat, bei den jungen Männern sind es 58 Prozent.

 

Zu viele fühlen sich abgehängt

 

„Junge Frauen sind traurig und depressiv geworden. Ich finde es erschreckend, wie viele sich laut Studie als abgehängt erleben und das Gefühl haben, dass sich ihr Leben extrem verschlechtert hat. Genau da wollen wir eingreifen und mit den Projekten von Women4Youth etwas verändern. Die katholischen Frauenverbände KDFB, IN VIA und Hildegardis-Verein haben sich zusammengeschlossen, um jungen Frauen wieder mehr Perspektive zu geben“, sagt Projektreferentin Melanie Peschek vom Hildegardis-Verein.

Wer während der Pandemie Verantwortung für Kinder trägt, hat zu kämpfen. Als Kindergärten und Schulen ihre Türen schlossen, hieß es – meist für Mütter: den Schulstoff erklären, Kinder zum selbstständigen Lernen motivieren, kleinere Kinder kreativ beschäftigen, die soziale Isolation abfedern, Ängste auffangen. Die Liste ist lang, zugleich musste berufliche Arbeit abgeleistet werden. Eigene Bedürfnisse, auch Weiterentwicklung im Beruf, blieben gerade bei jungen, berufstätigen Müttern komplett auf der Strecke. Die enormen Herausforderungen hinterlassen Spuren, insbesondere eine tiefe Erschöpfung, die noch lange nachwirken wird. Der KDFB Bayern hat deshalb ein Paket an Forderungen geschnürt, die Erleichterungen verschaffen sollen.

 

Junge Frauen brauchen die Solidarität der älteren Generation

 

Ob Frauen mit Kindern, Studentinnen oder Schulabsolventinnen – sie alle traf die Pandemie mit großer Wucht. „Junge Menschen haben sich extrem zurückgenommen, zum Schutz der Älteren. Nach meinem Empfinden wird es jetzt der älteren Frauengeneration zunehmend bewusst, dass die jungen Frauen Unterstützung brauchen, um ihren Mut wieder zu finden“, sagt Melanie Peschek. Damit aus Zukunftssorgen wieder Zukunftspläne werden können.

 

Theresia Michel: Einsam an der Uni

 

Die Pandemie hat das Studieren in ein einsames Spiel verwandelt. Das kann bitter ausgehen – vor allem für Erstsemester, die sich erst orientieren.

Wie fühlt es sich an, wenn ein Lebenstraum zerbricht? Wenn ein langgehegter Wunsch zum Greifen nah zu sein scheint und dann doch nichts daraus wird? Die 18-jährige Theresia Michel weiß es nur zu gut. Lange hat sie sich gewünscht, ein naturwissenschaftliches Fach zu studieren. „Vor allem Genetik und Neurologie fand ich spannend, das wollte ich machen“, sagt sie. Also wählte sie Biologie als Leistungskurs fürs Abitur, schaffte alles bestens, dem Lockdown zum Trotz. Mit dem Zeugnis in der Tasche bewarb sie sich um einen Studienplatz in Biochemie und bekam ihn – in Heidelberg. Voller Elan zog sie vor einem Jahr aus dem heimatlichen Bonn dort hin, alles schien nach Plan zu laufen. Doch der bekam bald Risse. Denn das Studium entpuppte sich als ein einsames Spiel, diktiert von den Corona-Maßnahmen.

 

Einzelkämpferin im Labor

 

Anstatt die Atmosphäre im Hörsaal zu schnuppern, saß Theresia allein in ihrem Zimmer vor dem Laptop. Selbst die Gruppenübungen in Physik, Mathematik und Chemie gab es nur online, begleitet von technischen Pannen. „Bei manchen funktionierte der Ton nicht, bei anderen das Bild; es gab ein Echo, man verstand sich nicht“, erzählt Theresia. Am Ende kämpfte Theresia alleine mit den Übungsblättern – und verlor den Kampf. „Es gab sehr viel Stoff, alles war neu, ich hätte die Gruppe dazu gebraucht, aber das war total schwierig“, erklärt sie. Der einzige Ort, wo sich Studierende persönlich treffen konnten, war das Labor. Doch auch dort stand jeder isoliert an seinem Tisch.

Mitstudierende kennenlernen, sich mit ihnen zusammentun, sich austauschen, in eine Gemeinschaft eingebettet sein – alles Fehlanzeige in Pandemiezeiten. Irgendwann wusste Theresia nicht mehr weiter und beschloss schweren Herzens, das Studium abzubrechen. „Wenn ich mich mit anderen hätte verabreden können, hätte ich vielleicht erfahren, dass es vielen so geht wie mir“, sagt sie.

 

„Junge Menschen sind die größten Verlierer der Corona-Politik“

 

Mit ihrer bitteren Erfahrung ist Theresia tatsächlich nicht allein. Der Soziologe Hartmut Rosa sieht die jungen Menschen gar als „die größten Verlierer, die Opfer der aktuellen Coronapolitik“. Denn in der Phase, in der sie die Schule abschließen und eine Ausbildung anfangen, müssten sie sich „in der Welt verorten“, wie er es nennt. Doch: „Dieser Prozess ist momentan vollständig angehalten. Wie sollen die jungen Leute das machen?“, so Rosa.

Theresia jedenfalls denkt nicht daran, ganz aufzugeben, sie entschied sich für einen Fachwechsel. Mit Anglistik und Politikwissenschaft geht ihre Reise nun in eine völlig andere Richtung.

 

Tanja Pichlmeier: Das Leiden der Kinder abfedern

 

Die emotionale und schulische Ausnahmesituation der Kinder stellt gerade berufstätige Mütter vor unlösbare Anforderungen. Eigene Pläne treten dadurch in den Hintergrund.

 

Es gab einen Tag im Lockdown, da musste Tanja Pichlmeier gleich drei Mal weinen. Vor Erleichterung. Denn endlich sah sie ihre sechsjährige Tochter wieder unbeschwerter. Zu groß war die Last, die in den vorausgegangenen Monaten auf den Schultern der dreifachen Mutter gelegen hatte. Mitanzusehen, wie ihre beiden schulpflichtigen Töchter von Tag zu Tag niedergeschlagener und antriebsloser wurden, ließ sie verzweifeln. „Wir haben uns an die Kontaktbeschränkungen gehalten und sind unter uns geblieben, aber wir konnten trotz allen elterlichen Engagements gleichaltrige Kinder einfach nicht ersetzen.“

 

Fehlende Kontakte zu anderen Kindern machten die Mädchen depressiv

 

Familie Pichlmeier hat drei Töchter: eine Erstklässlerin, eine Fünftklässlerin und eine Vierjährige, die eine schulvorbereitende Einrichtung besucht. Doch statt unbeschwert zu erleben, wie Schule funktioniert, fand sich die ABC-Schützin mit Arbeitsaufträgen zuhause wieder. Statt ihre neuen Klassenkameraden in der weiterführenden Schule kennenzulernen, saß die elfjährige Tochter monatelang alleine vor dem Laptop, um dem Onlineunterricht zu folgen. Beide Kinder reagierten depressiv auf die fehlenden Sozialkontakte zu Gleichaltrigen. Nach den Osterferien ging es dann nicht mehr. Pichlmeiers fragten eine Klassenkameradin ihrer Sechsjährigen, ob die beiden Mädchen vormittags gemeinsam lernen wollten. „Seit dem Tag ging es aufwärts“, erzählt die Frauenbund-Frau. Ein Funken Normalität nach einer langen Strecke des Durchhaltens. Zusammen Arbeitsblätter lösen, dem Videounterricht folgen und dazwischen einfach Kind sein können, gemeinsam kichern und spielen. Die jüngste Tochter durfte aufgrund einer Beeinträchtigung weiter ihre schulvorbereitende Einrichtung besuchen, ihre Tagesstruktur behalten. „Wenn sie auch noch zu Hause gewesen wäre, hätte ich es nicht geschafft. Glücklicherweise konnte mein Mann im Homeoffice arbeiten, sonst wäre alles noch viel schwieriger gewesen“, sagt Tanja Pichlmeier. Dennoch war sie es, die die meiste Mehrarbeit in der Familie zu schultern hatte.

 

„Frauen haben sich mit ihren Bedürfnissen in die hinterste Ecke gestellt“

 

Die Wirtschaftsjuristin ist zwar immer berufstätig gewesen, hat aber, als die Kinder klein waren, ihre beruflichen Pläne zurückgestellt. Doch letztes Jahr war es so weit, sie hätte wieder durchstarten können. „Ich hatte mich bereits für die Prüfung zur Steuerberaterin angemeldet. Das ist eine intensive und teure Fortbildung. Doch mit den Kindern im Homeschooling war es mir nicht möglich, mich darauf vorzubereiten, und ich musste alles absagen, was mich schmerzte.“ Selbst nicht mehr vorzukommen, sorgt bei vielen Frauen für Frust und Erschöpfung. „Ich sehe so viele unglaublich erschöpfte Mütter, die man mit der Situation alleine gelassen hat. Frauen haben sich mit ihren Bedürfnissen in die hinterste Ecke gestellt. Es würde gut tun, wenn gewürdigt würde, was Eltern geleistet haben.“

 

Ottilie Schulze: Oma als Lehrerin

 

Für manche Familien ist es unmöglich, ohne Unterstützung durch die Pandemie zu kommen. Dann können Großeltern die Rettung sein – trotz ihrer besonderen Gefährdung.

 

Dass sie kurz vor dem eigenen Ruhestand für mehrere Monate als Lehrerin einspringen würde, das hätte Ottilie Schulze nicht gedacht. Die 63-jährige KDFB-Frau aus Augsburg hatte nicht das Problem, ihre Enkelkinder während der Pandemie monatelang nicht zu sehen, so wie viele andere Großeltern. Im Gegenteil: Fast täglich saß sie mit ihrem achtjährigen Enkel über dem Stoff der zweiten Klasse und spielte mit dessen vierjähriger Schwester. Sie und ihr Mann wohnen im selben Haus wie ihr Sohn mit seiner Familie. Deshalb galten die Schulzes während der Lockdownzeit als ein Haushalt.

 

Vormittags: Frühschicht in der Klinik oder Homeschooling

 

Und da beide Eltern als Sozialpädagogen in einer Klinik für belastete Kinder beruflich unabkömmlich waren, sprangen die Großeltern bei der Betreuung der beiden Enkel ein. Wenn Ottilie Schulze Frühschicht als Krankenschwester hatte, übernahm ihr Mann das Homeschooling, sonst war sie dran. „Natürlich habe ich mir Gedanken um unsere Gesundheit gemacht. Aber letztendlich habe ich meine Ängste überspielt, da es aus meiner Sicht dringend nötig war zu unterstützen. Auch durch meinen Beruf als Zuständige für die Sterilisation der OP-Instrumente, bin ich natürlich gefährdet.“

 

Wenn Oma streng sein muss

 

Um den Enkel zwischen den Lerneinheiten bei der Stange zu halten, konnte man Ottilie Schulze während des Lockdowns mit Stoppuhr beim Sprint auf der Straße oder mit Federballschlägern im Garten antreffen. Dann saß sie wieder mit gestelltem Wecker neben Enkel und  Arbeitsblatt. „Ich habe versucht, mir etwas einfallen zu lassen. Aber es war sehr schwer, die Motivation zum Zuhause-Lernen aufrecht zu halten.“ Das Verhältnis zwischen Großeltern und Enkel hat sich dadurch durchaus verändert. „Als Oma will ich eigentlich nicht streng sein, aber das Schularbeiten-Pensum ließ keine Wahl.“ Die täglich stattfindende Online-Unterrichtsstunde hat die Nerven der Großeltern zusätzlich strapaziert. „Das war Neuland für uns.“ Die vierjährige Enkelin besuchte die Notbetreuung im Kindergarten, war dort oft mit einem anderen Kind alleine und fand das gewöhnungsbedürftig. Für ihren Zweitklässler hatte die Familie ebenfalls versucht, die Notbetreuung in Anspruch zu nehmen. Der Enkel kam dort aber nicht zurecht.

 

Eine Kur entlastet die ganze Familie

 

Für die Eltern war die berufliche und häusliche Situation durch den Lockdown sehr belastend. Sie haben schließlich die Notbremse gezogen und eine Mutter/Vater-Kind-Kur angetreten. „Das hat für Entlastung gesorgt. Und wir Großeltern haben die drei Wochen auch genutzt, um durchzuatmen“, sagt Schulze. Insbesondere Frauen seien unter Druck in der Pandemie. „Berufstätigkeit und die Kinder, da kommt einiges zusammen.“

 

Denise Schröder: Junge Mutter allein zu Hause

 

Alleine mit einem Kleinkind die Tage bewältigen – junge Mütter bieten die Stirn einer Herausforderung, die viel psychische Kraft erfordert.

 

Gäbe es die Pandemie nicht, würde Denise Schröder (22) mit Töchterchen Delia viel häufiger etwas unternehmen – in den Tierpark gehen, Indoor-Spielplätze besuchen, im Schwimmbad planschen. Stattdessen bleibt die junge Mutter meist zu Hause mit ihrer Zweijährigen, spielt mit ihr, versucht den Tag so kurzweilig wie möglich zu gestalten. „Delia ist sehr aufgeweckt und braucht Anregung“, sagt sie. Wenn wenig los ist, bekommt die Kleine schlechte Laune, ist gereizt, kann nicht gut schlafen.

 

Sie kennt das Muttersein nur unter Pandemiebedingungen

 

Denise Schröder beschwert sich aber nicht. Sie kennt das Muttersein ja nur unter Pandemie-Bedingungen. „Wir kommen gut zurecht“, beteuert sie. Wie es ihr selber geht, daran denkt die junge Mutter gar nicht, alles dreht sich um ihr Töchterchen. Dabei ist sie unter der Woche die ganzen Tage ganz alleine für Kind und Haushalt zuständig. Ihr Partner ist bis in den Abend hinein unterwegs, als Zusteller bei einem Versanddienst. „Ein coronasicherer Job“, sagt Denise Schröder. Sie selbst hat zwar einen Schulabschluss, ihre Berufsausbildung steht aber noch aus. Kraftfahrzeugmechatronikerin möchte sie werden und damit in eine Männerdomäne einsteigen. Doch das alles ist Zukunftsmusik. Um einen Ausbildungsplatz möchte sie sich erst bewerben, wenn Delia in den Kindergarten kommt. Manchmal denkt sie mit Sorge daran, ob es auch klappt, ob Corona auch dann noch das Leben unsicher machen wird.

 

Ein Bogen um den Spielplatz

 

Derzeit ist nicht einmal ein Spielplatzbesuch ganz unbeschwert. Wenn dort viele Mütter und Kinder zusammenkommen, macht Denise Schröder lieber einen Bogen um den Spielplatz. Dabei tut es Delia, die noch keine Geschwister hat, so gut, mit anderen Kindern zu spielen. Zum Kontakt mit Gleichaltrigen hat die Kleine derzeit wenig Gelegenheit. Dafür weiß sie sehr wohl, dass die Mama beim Einkaufen eine Gesichtsmaske braucht. Das ist normal für sie. Anders kennt sie es nicht.

In der jetzigen Phase, sagt Schröder, gehe noch alles gut. Sie muss weder Kind und Job vereinbaren, noch plant sie Urlaubreisen. Bei allem Respekt vor der Krankheit will sie ein möglichst normales Leben führen und sich nicht zu sehr ängstigen. „Durch Ängste geht Corona nicht schneller weg und man macht sich nur selbst kaputt“, sagt sie.

 

Autorinnen: Maria Sileny und Claudia Klement-Rückel
aus: KDFB engagiert 5/2021

 

Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) ist ein unabhängiger Frauenverband mit bundesweit 145.000 Mitgliedern. Seit der Gründung 1903 setzt er sich für Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen in Kirche, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ein.
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