Hinterbliebenenversorgung: Plötzlich Witwe – und dann?

Der KDFB fordert eine grundlegende Reform der Hinterbliebenenversorgung. Das Ziel: Die Einkommensanrechnung auf die Hinterbliebenenrente soll gestrichen und die Beratung für Verwitwete verbessert werden.
Ein Sekundenschlaf am Autosteuerrad, eine Unachtsamkeit bei der Bergwanderung oder eine niederschmetternde Diagnose. „In wenigen Augenblicken kann sich das Leben ändern, und das Verwitwet-sein ist nur einen Wimpernschlag entfernt“, weiß Inga Krauss. Als sie im Januar 2017 ihren Mann verlor, war sie 40 Jahre alt und plötzlich alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Kindern. Ihr Mann litt an Darmkrebs mit Lebermetastasen – eine Diagnose, die ihre Familie 2012 aus heiterem Himmel traf.
Nach der Diagnose kam der Schock
„Wir waren damals gerade in unser neugebautes Traumhaus in Wangen im Allgäu gezogen. Dieser Befund war ein unfassbarer Schock!“, erzählt die heute 48-Jährige. „Mein Mann ließ sich behandeln, verleugnete aber seine Krankheit. Er wollte den Krebs besiegen und überleben. Ich konnte deshalb auch nicht mit ihm über den Tod reden oder wie es mit mir und den Kindern danach weitergehen sollte.“ Vier Jahre und drei Monate gemeinsame Zeit blieben der jungen Familie nach dieser Schreckensnachricht bis zum Tod des Ehemanns und Vaters. „Plötzlich gab es keine gemeinsame Zukunft mehr. Alles war unwiderruflich weg, wofür ich gelebt hatte. Mein Familientraum war zu Ende geträumt. Jetzt war ich alleinerziehende Witwe, und eine schreckliche Zeit stand mir bevor“, erinnert sich Inga Krauss.
Ihr Leben änderte sich radikal. Neben dem emotionalen Verlust wusste sie nicht, wie es finanziell weitergehen sollte: das Haus noch nicht abbezahlt, keine Risikolebensversicherung, nicht genug Einkommen, um die anfallenden Kosten zu stemmen. Im Nachhinein wundert sich die Bürokauffrau über sich selbst: „Mir war klar, dass mein Mann sterben wird und ich keine Absicherung hatte. Aber über die Höhe oder die Regelungen der Witwen- und Waisenrenten hatte ich mir absolut keine Gedanken gemacht.“
Wie viele Verwitwete in Deutschland stieß die gebürtige Rheinländerin dabei auf ein System, das vor allem junge Hinterbliebene benachteiligt. „Es dauerte lange, um die komplizierte Anrechnung bei der Hinterbliebenenrente zu verstehen und von der Möglichkeit der Erziehungsrente zu erfahren. Dazu bekomme ich für die Kinder Halbwaisenrente und inzwischen auch Unterhaltsvorschuss“, schildert Inga Krauss ihre damalige Situation. „Meine Witwenrente fiel mit rund 500 Euro gering aus, weil mein Mann geschieden und längere Zeit selbstständig war.“ Dazu musste sie feststellen, dass ihr eigenes Einkommen auf die Rente angerechnet wurde. Auch jede Gehaltserhöhung oder Stundenerweiterung führte zu einer Kürzung der Hinterbliebenenrente.
Um Witwen wie Inga Krauss zu stärken, setzt sich der KDFB für eine bessere Hinterbliebenenversorgung ein. „Doch in politischen Debatten taucht immer wieder die Idee auf, sie abzuschaffen – mit der Begründung, dass sie nicht mehr zeitgemäß sei und das Rentensystem finanziell belaste. Der Frauenbund lehnt eine solche Abschaffung entschieden ab“, erklärt KDFB-Präsidentin Anja Karliczek. Denn die Hinterbliebenenrente sei dringend notwendig, um Menschen nach dem Verlust des Ehepartners oder der Ehepartnerin ein Mindestmaß an finanzieller Sicherheit zu geben: „Besonders für Familien mit minderjährigen Kindern ist die Rente oft die einzige Möglichkeit, nach einem Schicksalsschlag wirtschaftlich zu überleben.“
Wirtschaftliche Unsicherheit droht
Das Grundproblem: Das System der Hinterbliebenenversorgung geht davon aus, dass Menschen erst im hohen Alter verwitwen. Jedoch sind in Deutschland von 5,2 Millionen Empfänger*innen von Hinterbliebenenrenten rund 1,2 Millionen Menschen im erwerbsfähigem Alter betroffen, darunter etwa 85 Prozent Frauen. Dazu kommt: Die Rentenleistungen sind in jüngeren Jahren gering, und die Einkommensanrechnung auf die Hinterbliebenenrente sorgt dafür, dass viele Betroffene in einem Dilemma stecken: „Sie führt oft dazu, dass Verwitwete ihre Arbeitsstunden reduzieren, um damit eine Kürzung der Hinterbliebenenrente zu vermeiden. Kurz gesagt: Wer arbeitet, wird bestraft. Es hindert Witwen und Witwer an der Teilhabe am Arbeitsmarkt und verstärkt den Fachkräftemangel“, erläutert Anja Karliczek. Für Frauen sei das ein Problem, denn sie übernehmen einen Großteil unbezahlter Sorgearbeit und hätten oft niedrigere eigene Rentenansprüche.
Deshalb ist dem KDFB eine grundlegende Reform der Hinterbliebenenversorgung ein besonderes Anliegen. Die wichtigste Forderung: Die Einkommensanrechnung muss abgeschafft und die Hinterbliebenenrente in vollem Umfang gezahlt werden, unabhängig von den eigenen Erwerbseinkünften: „Jeder Mensch sollte im Falle des Verlusts seines Partners oder seiner Partnerin die notwendige finanzielle Sicherheit erhalten, ohne zusätzlich belastet zu werden. Ohne Reformen besteht die Gefahr, dass viele junge Hinterbliebene in wirtschaftliche Unsicherheit abrutschen, besonders hinterbliebene Kinder“, so Anja Karliczek.
Der KDFB fordert zudem, dass Pflegezeiten besser auf die Rente angerechnet werden, um das enorme Risiko der Altersarmut zu reduzieren. Zudem plädiert der Frauenbund für eine bessere Beratung für Hinterbliebene, um sie durch das bürokratische Dickicht der Rentenversicherung zu begleiten. „Die Politik muss die soziale Absicherung für Verwitwete verbessern, statt sie abzubauen. Statt über eine Abschaffung zu diskutieren, sollten wir dafür sorgen, dass das System gerechter wird“, so die KDFB-Präsidentin.
Um sich selbst für eine Reform zu engagieren, gründete Inga Krauss 2017 auf Facebook eine Initiative unter dem Namen „Gerechte HinterbliebenenRente“. Zudem setzte sich die Aktivistin und Buchautorin in über 20 Petitionen für eine sozial gerechtere Regelung zur Hinterbliebenenrente ein. Aufgrund ihrer katastrophenreichen Geschichte hat Inga Krauss einen dringenden Rat: „Ich kann nur jeder Frau empfehlen, sich so viel Finanzwissen wie möglich anzueignen und sich zu fragen: Wie wäre meine Finanzlage, wenn ich Witwe werden würde?“
Das fordert der KDFB:
Der Frauenbund will sich dafür einsetzen, dass die Hinterbliebenenrente erhalten bleibt, aber an die Lebensrealität Betroffener angepasst wird und fordert:
- Abschaffung der Einkommensanrechnung: Witwen und Witwer sollen unabhängig von ihrem eigenen Einkommen die volle Hinterbliebenenrente erhalten;
- bessere Anrechnung von Pflegezeiten: Insbesondere Frauen sollen für ihre Sorgearbeit höhere Rentenansprüche erwerben können;
- Aufbau qualifizierter Beratungsstellen: Hinterbliebene brauchen bessere Unterstützung im Umgang mit Renten- und Finanzfragen.
Beratung und Infos: Informationen für Verwitwete bietet die Deutsche Rentenversicherung unter http://www.deutsche-rentenversicherung.de (im Suchfeld „Rente für Hinterbliebene“ eingeben).
Zum Weiterlesen: Inga Krauss: Witwenrente. Der Renten- und Finanzratgeber für Hinterbliebene, Wolters Kluwer Steuertipps, 2025, 16,99 Euro.
Infos unter http://www.verwitwet-alleinerziehend.de
Autorin: Karin Schott