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Allein gelassen: Lernlücken nach Corona belasten Familien

28.03.2023

Schulen dicht, Homeschooling, Wechselunterricht – Die Corona-Pandemie hat bei Schüler*innen zu massiven Lerndefiziten geführt. Jetzt ist es an der Zeit, die Wissenslücken zu schließen. Damit sind aber Kinder und Eltern überfordert. Der KDFB greift deshalb dieses Thema politisch auf.

Sophia ist eine sehr gute Schülerin gewesen – bis die Corona-Pandemie begann. Der persönliche Austausch mit Lehrer*innen und Mitschüler*innen war für die 16-Jährige Ansporn, gerne zu lernen. Nach eineinhalb Jahren Online-Unterricht war die ehemals Klassenbeste versetzungsgefährdet, zu groß waren die Wissenslücken, zu gering die Motivation, sich mit einem Berg von Lernstoff auseinanderzusetzen. Ähnlich geht es dem 17-jährigen Florian: In seinem ehemaligen Lieblingsfach Französisch schreibt er heute schlechte Noten. Oder die neunjährige Amira, die als Viertklässlerin in Mathe abgestürzt ist, weil ihr das Grundwissen fehlt. Damit wackelt ihr Übertritt ins Gymnasium.
Viele Kinder und Jugendliche haben in der Pandemie so viel Lernstoff verpasst, dass sie ihn allein nicht aufholen können. Dies belegt eine Metaanalyse aus 42 Studien zu Corona-Lernrückständen bei Schulkindern aus 15 Ländern, die im Fachblatt Nature Human Behaviour erschienen ist. Demnach haben Schüler*innen mehr als ein Drittel ihres üblichen Lernzuwachses pro Schuljahr durch die Corona-Pandemie verloren. Am größten sei das Lerndefizit bei Kindern mit niedrigem sozioökonomischen Status, so der Autor Bastian Betthäuser von der Politik-Hochschule Sciences Po in Frankreich. Die Defizite in Mathematik seien noch größer als beim Lesen, da Eltern eher beim Lesenlernen helfen könnten als bei Matheaufgaben, so Betthäuser. In Deutschland hat derzeit jeder dritte Viertklässler Probleme mit der Rechtschreibung. Beim Lesen, Zuhören und in Mathe kann rund ein Fünftel der Schulkinder die Mindestanforderungen nicht erfüllen. Dies ergab letztes Jahr die Bildungstrend-Studie des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen.

Lange Schulschließungen waren ein Fehler

Schon 2020 warnten die Vereinten Nationen vor Schulschließungen im Kampf gegen das Corona-Virus und bezeichneten sie als „Katastrophe für eine ganze Generation“. Auch der deutsche Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach räumte Anfang Februar ein, dass die langen Schulschließungen ein Fehler gewesen seien. „Solche Eingeständnisse helfen uns Müttern nicht weiter. Von den Kindern werden jetzt in der Schule Leistungen erwartet, als ob es die Corona-Pandemie mit Schulschließungen und Homeschooling nie gegeben hätte. Mit den Noten geht es bergab. Corona ist zwar vorbei, die Folgen für unsere Kinder jedoch nicht. Das ist eine unheimliche Belastung für Familien“, so Tanja Pichlmeier, stellvertretende Landesvorsitzende des KDFB Landesverbands Bayern.
Die 40-jährige Wirtschaftsjuristin aus Pfeffenhausen bei Landshut hat drei Töchter im Alter zwischen sechs und
13 Jahren. Die Situation, in der sich viele Familien nach Corona befinden, ist ihr damit sehr vertraut. „Viele Kinder brauchen Unterstützung beim Lernen, um das fehlende Grundwissen aufzuholen. Dafür ist häufig Nachhilfe nötig.“ Ein hoher Kostenfaktor, den sich nicht alle Familien leisten können, weiß Tanja Pichlmeier: „Das Paket mit den stark gestiegenen Lebenshaltungskosten, das gerade auf die Corona-Situation aufgesetzt wird, ist für viele Familien eine Bürde.“

Kinder demotiviert der Berg an Nachholbedarf

Gymnasiallehrerin Claudia Seibold, Vorsitzende des KDFB-Diözesanverbandes Passau, kennt das „Post-Corona-Syndrom“ der Schüler*innen: „Wir haben vor allem beim jetzigen Abiturjahrgang ein großes Motivationsproblem. Selbst in meinem Fach Musik haben sich durch die vergangenen zwei Jahre Rückstände besonders im instrumentalen Bereich aufgetan. Häufig stehen die Kinder vor einem Berg an Nachholbedarf.“ An ihrem Gymnasium hilft nun eine extra beauftragte Lehrerin Schüler*innen durch Lerncoaching wieder in die Spur: „Lernstrategien sollen die Motivation heben. Aber tatsächlich ist es so, dass vor allem die Mütter vor Problemen stehen, wenn die Kinder unmotiviert sind“, erklärt die KDFB-Frau. Nicht alle Eltern haben die Finanzen, die Zeit und die Ressourcen, um zu helfen, die Wissenslücken auszugleichen. „Das Thema Bildungsgerechtigkeit spielt bei uns in der Mittagsbetreuung der Grundschüler*innen eine große Rolle“, weiß Gertrud Ströbele, Bildungsreferentin im Bildungswerk des KDFB. „Da sind zum einen Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern, die vollkommen überfordert sind. Dann gibt es Eltern, die sich grundsätzlich nicht um die schulischen Belange ihrer Kinder kümmern und andere mit besseren finanziellen Mitteln, die Nachhilfestunden bezahlen können.“
Die Mittagsbetreuerinnen berichten Projektleiterin Gertrud Ströbele, dass die Aufmerksamkeitsspanne bei den Kindern nun noch geringer ist als vor Corona. Die Kinder sind auch unruhiger und aggressiver: „Sie haben einfach keine Nerven mehr. Eineinhalb Jahre lang haben Fremde Gefahr bedeutet, Abstand zu halten, war wichtig. Deswegen müssen die Kinder jetzt Gemeinschaft neu lernen, denn es mangelt ihnen an Sozialkompetenz. Man muss ihnen Zeit geben, wieder ins Lot zu kommen.“
Das Thema Sozialkompetenz ist deshalb in diesem Jahr der Schwerpunkt in der Mittagsbetreuerinnen-Schulung. „Die Kinder brauchen das Gefühl dafür, dass Regeln nötig sind, damit sich mehrere miteinander in einer Gruppe wohlfühlen können“, so Sozialpädagogin Ströbele. Hausaufgaben und Lerndefizite sollen daher zuerst einmal nicht im Vordergrund stehen, sondern das gute Miteinander und die Motivation der Kinder. „Spaß und Freude mit Spielen und Bewegung sind momentan wichtig, um die Kinder zu stärken“, sagt sie.
Auch für KDFB-Frau Tanja Pichlmeier ist es eine Herzensangelegenheit, Kinder und Jugendliche – und auch die Mütter – nach der Corona-Zeit zu stärken. „Wir vom Frauenbund wollen die Mütter mit ihren Familien nicht allein lassen. Jede Familie ist individuell und jede Mutter hat andere Grundvoraussetzungen, ihre Kinder zu unterstützen. Wir sehen die Probleme der Mütter in der Nach-Corona-Phase und werden uns zu diesem Thema engagieren“, erklärt die stellvertretende Vorsitzende des Bayerischen KDFB Landesverbandes. Auf der Delegiertenversammlung am 17. Juni in Lappersdorf bei Regensburg sollen für dieses Engagement des Frauenbunds die Weichen gestellt werden.

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Unsere Kinder und die Corona-Folgen: Wo liegen die Knackpunkte?
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diese hört:

1. Welche Probleme in Kindertagesstätte und Schule sehen Sie nach der Corona-Zeit?

2. Wo wünschen Sie sich Unterstützung als Mutter oder Großmutter – vom KDFB, aber auch von Seiten der Politik?

Ihre Antworten nehmen wir gerne bis zum 28. April an. Wir freuen uns über Ihre Rückmeldungen an Friederike Kukula, Referentin für junge Frauen im Landesverband, per E-Mail: kukula@frauenbund-bayern.de oder per Telefon (auf Anfrufbeantworter) unter 089/28 623-714.

Gemeinsam Lust am Lernen wecken

Die in der Corona-Zeit entstandenen Lerndefizite stören den Familienfrieden. Wie können Eltern ihre Kinder zum Lernen motivieren?
Corona-bedingt hat die emotionale Belastung bei Kindern und Jugendlichen stark zugenommen. Viele haben in dieser Zeit verschiedene Auffälligkeiten entwickelt. Dazu kommt der Druck durch schulische Lernrückstände, sagt Diplom-Psychologin Petra Reuter-Niebauer (60), Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche der Katholischen Jugendfürsorge in München-Bogenhausen. Sie empfiehlt Eltern, zunächst einmal anzuerkennen, dass viele Kinder mit dem Lernen überfordert sind und vor allem emotionale Unterstützung brauchen – sowie Struktur, Pausen und Ausgleich zum Lernen. Die Psychologin rät Eltern, wie sie ihre Kinder zum Lernen motivieren können:

  • 1. Überblick verschaffen

    Je größer die Lücken im Lernstoff, desto geringer ist die Motivation der Kinder, sich damit zu beschäftigen. Die Kinder wissen nicht, wo sie anfangen sollen. Alleine an ihrem Schreibtisch sind sie damit überfordert. Wenn Eltern Verständnis für die besondere Situation nach der Corona-Pandemie zeigen, fühlen sich die Kinder ernst genommen und sind vielleicht auch motivierter, ihre Lernrückstände aufzuholen. Eltern sollten sich Zeit nehmen und sich gemeinsam mit dem Kind einen Überblick verschaffen: Wo sind die größten Lernrückstände? Welche Lücken kann das Kind alleine aufarbeiten, welche nicht? Kann jemand aus der Verwandtschaft helfen? Braucht es eine zeitlich begrenzte Nachhilfe? Familien, die besorgt sind, ob Nachhilfe für sie finanzierbar ist, können bei den örtlichen Jugendämtern nach Unterstützung fragen. Gelegentlich bieten auch Nachbarschaftshilfen oder Schulen Lerngruppen oder Nachhilfe an. Eltern können die Kinder ermutigen, sich mit Mitschüler*innen zusammenzutun, um gemeinsam zu lernen. Danach könnten die Kinder etwas Schönes unternehmen, wie Pizzaessen oder ins Kino gehen.

  • 2. Was können wir als Familie leisten?

    Die Lernrückstände ihrer Kinder setzen auch die Eltern unter Druck. Viele Lehrer*innen erwarten, dass Mütter und Väter am Wochenende oder in den Ferien mit den Kindern lernen. Jede Familie ist aber anders strukturiert und mit unterschiedlichen Möglichkeiten ausgestattet. Folgende Fragen helfen weiter: Wo können wir als Familie das Lernen unterstützen? Wo sind unsere Grenzen? Wie können wir uns entlasten? Wo benötigen wir Hilfe von außen? Heutzutage werden hohe Anforderungen an Eltern gestellt. Mütter und Väter sollten sich fragen, ob sie neben Job, Haushalt oder Pflege auch noch die Lehrer*innenrolle übernehmen können. Wer sich dem nicht gewachsen fühlt, für den sind Erziehungsberatungsstellen eine gute Anlaufstelle. Dort werden Eltern angeleitet, ihre Kinder besser zu unterstützen, aber auch mit sich selbst und der Angst umzugehen, ihre Kinder könnten den Lernstoff nicht ausreichend bewältigen.

  • 3. Kleine Lernpäckchen packen

    Bei täglichen Hausaufgaben, aber auch vor Prüfungen ist es hilfreich, überschaubare Lernpäckchen zu packen: sich nicht mit einem ganzen Ordner hinsetzen, sondern verschiedene Lerneinheiten in dünnere Schnellhefter abheften, die man überallhin mitnehmen kann. So kann ein Kind zum Beispiel spazieren gehen und dabei etwas auswendig lernen. Wenn Lernrückstände aufgeholt werden müssen: sich nicht überfordern, Überblick verschaffen, langsam den Berg abtragen, kleine Lernpäckchen packen, immer wieder Pausen einbauen – und danach etwas Schönes einplanen. Wie beim Sport gilt: Anspannung und dann wieder Entspannung. Und noch ein Tipp: Wenn das Kind viel gelernt hat und trotzdem keine gute Note bekam, sollten die Eltern die Anstrengung belohnen und das Kind trösten: „Das hat jetzt nicht so funktioniert, beim nächsten Mal aber kann es klappen. Jetzt tun wir dir etwas Gutes, weil du dich angestrengt hast!“

  • 4. Welcher Lerntyp ist mein Kind?

    Patentrezepte, um die Kinder zum Lernen zu motivieren, gibt es nicht. Jedes Kind lernt anders. Eltern sollten sich fragen: Wie ist mein Kind? Kann es sich gut konzentrieren? Oder ist es eher unruhig mit viel körperlicher Anspannung? Wenn Eltern den Lerntyp des Kindes kennen, können sie einen passenden Lernrahmen für ihre Kinder schaffen, zum Beispiel mit einem ruhigen Ort und Internetzugang. Wenn Kinder gelernt haben, ihre Hausaufgabenzeit zu strukturieren, zum Beispiel mit Wechsel zwischen schriftlichen und mündlichen Arbeiten, dann reduziert das den Druck. Für Struktur sorgt auch eine Liste der Aufgaben. Wenn die Kinder beim Ausstreichen sehen, was sie alles geschafft haben, trägt das auch zur Motivation bei. Viele Kinder begeistern sich zum Beispiel für Lernsoftware. Auch beim Vokabellernen gibt es verschiedene Varianten. Welche passt zu meinem Kind? Lernt es Vokablen eher durch mündliches Abfragen oder durch Abschreiben?

  • 5. Kreative Lernstrategien

    Wenn man von etwas begeistert ist oder echtes Interesse hat, lernt man besonders schnell. Eine Motivation, die aus einem inneren Antrieb heraus entsteht, ist die beste Lernhilfe. Tatsächlich gibt es Kinder, die Spaß am Lernen haben und sich über gute Noten noch einmal selbst motivieren – aber das ist eher die Ausnahme. In der Schule gibt es viele Fächer, da können Eltern den Kindern nicht vormachen, dass alles spannend ist. Kinder und Jugendliche rechnen es den Eltern an, wenn sie ehrlich sind und zum Beispiel sagen: „Ich merke schon, dass dir dieses Fach nicht liegt und dass du es mühsam lernst. Dafür schreibst du aber tolle Aufsätze! Lasst uns doch zusammen überlegen, wie dir das Lernen leichterfallen könnte.“ Um sich mit dem Kind kreative Lernstrategien zu überlegen, eignen sich folgende Fragen: Können wir beim Lerninhalt einen Bezug zu deinem Leben finden? Kannst du dir Lernfilme aus dem Internet zu den Themen anschauen? Oder sollen wir uns zusammen aufs Sofa kuscheln und ich lese dir die passenden Kapitel im Buch dazu vor? Viele Eltern nehmen diese kreative Perspektive in der Beratung positiv an. Die fantasievolle Art der Motivation kann auch für sie spannend werden. Die Eltern sollten aber sich selbst und ihre Kräfte immer im Blick behalten: Kann ich das überhaupt leisten, oder stresst es mich? Dann muss Hilfe von außen gesucht werden.

     

    Zum Weiterlesen:
    Anika Langenbeck: Das große Grundschultricks Buch. Sorgenfrei durch die Grundschulzeit: Von Lehrern entwickelt und leicht im Alltag umsetzbar, sladoledpublishing, 2022, 12,99 Euro.
    Rainer Ammel: Gute Noten ohne Stress. Ein Lehrer verrät die besten Tipps und Tricks, um das Gymnasium erfolgreich zu bestehen, Heyne, 2017, 9,99 Euro.
    Stefanie Rietzler / Fabian Grolimund: Clever lernen, Hogrefe, 2018, 24,95 Euro.

Autorin: Karin Schott

Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) ist ein unabhängiger Frauenverband mit bundesweit 145.000 Mitgliedern. Seit der Gründung 1903 setzt er sich für Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen in Kirche, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ein.
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