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„Ein ruhiger Dienst – nur zwei Leichen“

Wer als Polizistin arbeitet, sieht die Welt mit anderen Augen. Foto: image source

26.10.2018

Wer in diesem Beruf arbeitet, sieht die Welt mit anderen Augen. Eine Polizistin, die anonym bleiben will, berichtet.

„Unsere Wahrnehmung ist völlig abseitig. Du erlebst täglich die Schattenseiten der Gesellschaft, nur das, was hässlich und brutal ist, und du frisst dein ganzes berufliches Leben diese Scheußlichkeiten in dich hinein.

Ein ruhiger Dienst, das ist einer, wo es nur zwei Leichen gab. Möglichst klare Fälle. Suizide mit Abschiedsbrief, zum Beispiel. Wunderbar, alles bestens und geklärt. Drei Einbrüche? Pippifax. Für uns ist ein Einbruch ein kleiner Fall. Für die Betroffenen ist es aber furchtbar, dass da jemand in ihren privatesten und persönlichsten Bereich gewaltsam eingedrungen ist. Wir nehmen das gar nicht mehr wahr.

Manche treiben Sport bis zum Umfallen, um mit ihren Gefühlen klarzukommen. Manche verhärten sich total und reißen dumme Machosprüche. Und manche kriegen ein Burn-out. Kontinuierliche Hilfen zur Verarbeitung gibt es nicht. Sicher, es gibt Psychologen und Seelsorger und auch vermehrt punktuelle Betreuung nach Großeinsätzen und Katastrophen mit vielen Toten, aber zum Beispiel keine Supervision, die in anderen stressigen Berufen seit Langem üblich ist.

Es wirkt in alles hinein, in dein ganzes Privatleben.

Du fährst in deinem Bezirk über Land, du kommst ständig an deinen Einsatzorten vorbei. Du siehst hier die Brücke, wo einer runtergesprungen ist. Da das Bahngleis, wo letzte Woche der Selbstmörder lag. Dort den Fundort der Leiche. Du kannst nie ab-schalten. Du bist immer am Abchecken, du siehst die Welt mit anderen Augen, misstrauischer, wachsamer: Du notierst auch privat mal eine Autonummer. Du beobachtest, warum sich die fünf jungen Männer dort so auffällig herumdrücken. Du fragst dich, warum das Kind im Nachbarzelt auf dem Campingplatz so oft so laut schreit. Was passiert mit dem Kind? Stimmt da alles? Es kann ja alles ganz normal sein. Aber eben auch nicht. Die Leichtigkeit, die Naivität geht dir verloren. Ich sperre immer mein Rad ab. Ich lasse nie meine Tasche irgendwo stehen. Ich lasse zu Hause nie ein Fenster offen, wenn ich weggehe. Ich bin immer Polizistin.“

Protokoll: Susanne Zehetbauer
aus: KDFB Engagiert – Die Christliche Frau 11/2018

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