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So geht Frauensolidarität!

KDFB engagiert 6/2019

27.05.2019

Wenn Frauen zusammenstehen, können sie (fast) alles bewegen. Trotzdem fällt es ihnen oft schwerer als Männern, untereinander solidarisch zu sein. Warum das so ist und wie kluge Frauen es ändern können, lesen Sie hier. Ein Beitrag zur KDFB-Kampagne „bewegen!“.

Was gab es nicht alles in der Frauenbewegung der 70er- und 80er-Jahre: Frauenprojekte, Frauenfeste, Frauenfilme. Frauenbücher, Frauenverlage, Frauengruppen ohne Ende: Svende Merians „Tod des Märchenprinzen“ und die erste Bundesfrauenministerin Rita Süßmuth, die manchen zu zaghaft, anderen zu forsch agierte. Erbitterte Diskussionen über Hausarbeit, Familienarbeit, Sexarbeit. Über den weiblichen Körper als männliches Lustobjekt. Über Gewaltbeziehungen und Männer als Täter. Über Rollenbrüche, die Feministinnen den Ruf einbrachten, hässliche Emanzen oder Männerhasserinnen zu sein. Über Wallehaar und Raspelschnitte, lila Latzhosen, BHs, die in die Tonne flogen, und unrasierte Achselhöhlen. Und überall gab es das Frauenzeichen – als Anhänger am Ohrring, als Sticker an der Lederjacke, aufgemalt auf Umhängetaschen und Toilettenwänden.

„Wenn heute über die Zeit damals gelästert wird, gerät bisweilen aus dem Blick, wie notwendig all die Grenzüberschreitungen waren“, sagt die emeritierte Professorin Ute Gerhard. Die 80-jährige Juristin und Soziologin ist eine der großen alten Damen der Frauenforschung und war von 1987 bis 2004 in Frankfurt am Main die erste Inhaberin eines Lehrstuhls für Frauen- und Geschlechterstudien an einer deutschen Universität. „All die Gruppen, Projekte und Protestveranstaltungen schufen aber eine Gegenöffentlichkeit, die Medien und Politik zwangen, sich mit der Geschlechterfrage auseinanderzusetzen. Diese Solidarität unter Frauen war für die Schubkraft der Frauenbewegung von ganz entscheidender Bedeutung“, so Gerhard.

Ein ausführliches Interview mit Ute Gerhard lesen Sie hier

Solidarität. Der Begriff stammt aus der französischen Revolution, griff über auf die ArbeiterInnenbewegung. Auch die historische Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts, die für das Wahlrecht und den Zugang zu Bildung und Erwerbsarbeit kämpfte, appellierte an die Solidarität der Frauen. Schon damals begriffen unerschrockene Frauenrechtlerinnen, sagt Ute Gerhard, dass sie „eines gemeinsam hatten, und zwar über alle politischen Systeme, Klassen und Schichten hinweg: Sie galten für die Haus- und Familienarbeit als zuständig, und in dieser geschlechterungerechten Arbeitsteilung lag der Urgrund, warum Frauen benachteiligt, unterdrückt oder ausgebeutet wurden.“ Das Private begann schon damals politisch zu werden. Ein Wir-Gefühl wurde geboren, ein Bewusstsein für eine kollektive Identität der Frauen.

Eklatanter Fehler: Das Sozialsystem ignoriert die Fürsorge-Arbeit

Heute erscheint das Wort „Frauensolidarität“ vielen als seltsam altertümlich, und die Solidarität unter Frauen ist brüchig geworden. Viele, gerade junge, Frauen wehren dieses Wir-Gefühl ab und wollen nicht vereinnahmt werden. Denn es widerspricht ihrem Selbstverständnis, ihr Leben aus eigener Kraft erfolgreich gestalten zu können. Quoten und Unterstützung meinen viele nicht zu benötigen. „Aber das stimmt nur bis zu dem Punkt, an dem sie einem Beruf nachgehen und gleichzeitig eine Familie haben und für Kinder, alte Eltern oder kranke Familienmitglieder sorgen, die Hilfe und Unterstützung brauchen“, sagt Gerhard. „Wir erkennen heute: Mit gleichen Rechten für Frauen in der Arbeitswelt und der Schaffung von ein paar Kita-Plätzen ist noch nicht viel geleistet und gelöst.“

Denn der Knackpunkt jeder Frauenbiografie ist die Fürsorge-Arbeit. An ihr zeigt sich ein eklatanter Konstruktionsfehler des deutschen Sozialstaats, denn sie wird in der Sozialpolitik weitgehend ignoriert. Und das, obwohl jeder Mensch immer wieder auf Fürsorglichkeit, Pflege und Unterstützung angewiesen ist – als Kind sowieso, aber auch in Krankheit oder im Alter. Gerhard: „Diese unentbehrliche Arbeit ist die Grundlage für jede Gesellschaft, und ihr Beitrag ist immens. Sie ist keine Privatangelegenheit. Trotzdem findet sie keine annähernd ausreichende Unterstützung.“

Magere Rente wegen Kindererziehung und Pflege

Eine gerechte Organisation der Fürsorgearbeit ist daher für Gerhard wie für viele andere Sozialwissenschaftlerinnen die heute entscheidende frauenpolitische wie sozialstaatliche Herausforderung – hierzulande und weltweit. Denn die Fürsorge-Arbeit, in der Wissenschaftssprache „Care“ genannt, wird immer noch vor allem von Frauen geleistet – von unbezahlten Frauen in der Familie und von schlecht bezahlten Frauen in Pflegeberufen und Haushaltsdienstleistungen. Wieder, wie in den ersten Wellen der Frauenbewegung, ist es diese Familienarbeit, die den Ankerpunkt für die Benachteiligung und Ausbeutung von Frauen bildet: Frauen, die auf Sozialgeld angewiesen sind, weil sie pflegen. Frauen, die nicht fürs Alter vorsorgen können, weil sie Kinder erziehen oder sich um kranke und alte Menschen kümmern. Frauen, die ihre Familienarbeit nicht mit existenzsichernder Erwerbstätigkeit oder gar Karriere vereinbaren können, die als Krankenschwester oder Altenpflegerin kaum von ihren verantwortungsvollen Jobs leben können: „Das kann uns als Gesellschaft nicht egal sein!“, sagt Gerhard. „Wir brauchen eine Revolution im politischen Denken, wir brauchen die Integration der Care-Arbeit in die sozialstaatlichen Zusammenhänge. Und wir brauchen eine Revolution in unseren Alltagsgewohnheiten, die Männer ebenso in die Fürsorgearbeit einbindet wie Frauen. Wir brauchen dazu die Solidarität von Frauen.“

Autorin: Susanne Zehetbauer
aus: KDFB Engagiert 6/2019

Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) ist ein unabhängiger Frauenverband mit bundesweit 145.000 Mitgliedern. Seit der Gründung 1903 setzt er sich für Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen in Kirche, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ein.
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