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Träume von gestern…

Was wird das Leben bringen – das haben sich Zwanzigjährige schon immer gefragt. Foto: Castro/photocase.de

30.07.2018

KDFB-Frauen berichten aus ihrem Leben: Welche Träume sie mit zwanzig Jahren hegten und was daraus geworden ist. Ein Beitrag zum Jubiläum der Mitgliederzeitschrift „20 Jahre KDFB Engagiert“.

Margret P., 80: Auf nach Rimini!

Nach dem Schulabschluss bei den „Englischen Fräulein“ wurde ich im Fernmeldeamt als „Fräulein vom Amt“ eingestellt (1955). Bald hörte man von der Automatisierung des Telefonwesens. Wir Mädchen konnten uns das nicht vorstellen, dass man mit nur ein paar Nummern, die man selbst wählt, telefoniert.

Es kam aber langsam so, man brauchte immer weniger Vermittlungsplätze, und so machte ich 1958 eine Ausbildung für die Telegrafie. Während dieser „Fernamtszeit“ habe ich einen feschen Postler kennengelernt, und als er mich fragte, ob ich seine Frau werden möchte, haben wir uns am 15. August 1958 verlobt. Waren wir verliebt! So schmiedeten wir einen Urlaubsplan. Nach Rimini sollte die Reise gehen im September 58.

Ich erzählte es meiner Mutter, fragen musste ich ja noch, ich war da 20 Jahre alt, somit nicht volljährig. Es kam eine glatte Absage: „Das macht man nicht. Das ist unmöglich. Wenn ihr verheiratet seid, habt ihr noch oft Gelegenheit zum Fahren.“ Wir meldeten uns trotzdem an, aber auch im Reisebüro mussten wir zwei Zimmer buchen, sonst wäre aus unserem Urlaubstraum nichts geworden.

Als wir aus dem einwöchigen Urlaub, der für uns der Wahnsinn war, heimkamen, wurde mein Verlobter zum Chef gerufen und der eröffnete ihm, dass 1959 Postwohnungen gebaut würden. Sollten wir eine Wohnung wollen, müssten wir zumindest eine Anmeldung für eine Heirat beim Standesamt vorlegen… Ja, so war es damals, und es gäbe noch viel zu erzählen, auch aus gewerkschaftlicher Sicht, wo wir beide engagiert waren.

Rückblick privat: Wenn es unserem Herrgott gefällt, dürften wir 2019 unsere Diamantene feiern, mit Kindern, Enkeln und zwei Urenkeln. Beruflich: Heute telefoniert und simst man kreuz und quer durch die Welt mit allen möglichen Geräten; von meinen Enkeln habe ich das SMS-Schreiben lernen müssen! Alles hat eben seine Zeit…

Christina D., 70: Solidarisch mit den Armen

Als ich zwanzig Jahre alt war, hatte ich gerade mein Abi gut geschafft und begann im Herbst 1968 mein Medizinstudium in Würzburg. Ich stamme aus einem Markt im Bayerischen Wald, und mein Elternhaus war konservativ und sehr streng. Ich besuchte ein Klosterschulgymnasium, war bis dato kaum politisch interessiert. Ganz viele neue Eindrücke drangen zu Beginn meines Studentenlebens in mich ein: das Aufbegehren gegen das „Establishment“, die Springer-Presse, die alten Zöpfe, an den Universitätsstrukturen, die althergebrachte einengende Moral. Kritisches Hinterfragen von jeder Autorität (Bestseller damals die: „Antiautoritäre Erziehung in Summerhill“), Demos gegen Vietnamkrieg und Hochschulreformen, gegen die USA und den Kapitalismus waren „in“. 

Auf keinen Fall wollten wir „Fachidioten“ werden, die nur an ihrer Karriere interessiert sind, sondern freie Menschen, die sich kritisch in die Gesellschaft einbringen und solidarisch mit den Ausgegrenzten und Armen sind. So war mir zwar mein Studium wichtig, aber in meiner Studentenbude hingen ein Plakat von Che Guevara und Bilder von den Beatles. Ich trat Amnesty International bei und der Gruppe „Proletarische Linke“, die sich mit Marx und Kommunismus beschäftigte. Wir diskutierten, ob Gewalt ge­gen Ungerechtigkeit und das „Establishment“ gerechtfertigt sei, die RAF befürwortete das und begann den linken Terrorismus, den wir gemäßigten 68er strikt ablehnten! „Kommunen“, Wohngemeinschaften, tauchten immer häufiger auf, ein alternativer, nicht auf Konsum beruhender Lebensstil war angesagt.

In den USA war die Hippie-Bewegung aktuell, die natürlich zu uns herüberschwappte. Der Musikgeschmack änderte sich. Wir sangen auf unseren Studentenfeten Lieder von Bob Dylan, Joan Baez, Leonard Cohen und natürlich den Beatles!

Die Gleichberechtigung der Frauen war in unseren Kreisen selbstverständlich, wir Mädchen wurden in unseren Ansichten respektiert und ernst genommen. Das anstrengende Studium, meine Studentenehe mit Kind führten mich wieder zu festeren Strukturen, mein Lebensplan wurde recht verantwortungsvoll. Aber ich war mein ganzes Leben politisch interessiert, engagiere mich bis heute für Lokalpolitik, Kirche, IPPNW, Flüchtlingshilfe, Amnesty International, die Umwelt, gegen Globalisierung, Hunger und Ar­mut. Ich gehe mit auf Demos gegen die Agrarindustrie, gegen Atomkraft und mache viele Online-Petitionen. Für mein Leben wa­ren die 68er-Jahre sehr prägend! 

Ursula M., 66: Frischer Wind!

Mit 20 war ich bereits ein Jahr verheiratet und schon längere Zeit im Frauenbund und als jüngstes Mitglied auch in der Vorstandschaft. Das Zusammenarbeiten mit den „älteren“ Frauen fand ich damals recht witzig, weil ich als junger Spund frischen Wind in den Verein bringen wollte, womit ich nicht unbedingt auf offene Ohren traf.

Dass man in den 70er-Jahren so jung geheiratet hat, war nichts Ungewöhnliches. Und nur als Verheiratete hat man eine Wohnung bekommen. Das Zusammenleben ohne Trauschein war auf dem Lande gar nicht möglich.

Ich hatte zu dieser Zeit schon einen super Arbeitsplatz. Ich ar­beitete in einer Firma im Büro, anfangs mit circa 25 Arbeitern und ein paar Jahre später mit etwa 60 Arbeitern in der Fabrik und habe die gesamte Büroarbeit alleine mit einer kleinen Hilfskraft erledigt. Da wurde noch wöchentlich der Lohn per Hand ausgerechnet und jede Woche das Geld in die Lohntüten gezählt (heute fast unvorstellbar).

Das war auch die Zeit, als meiner Meinung nach die Frauen leichten Aufwind bekamen. Ich selbst war da mit Familien- und Hausplanung und Geldverdienen be­schäftigt. Wir waren, glaube ich, gegenüber den jetzigen 20-Jährigen schon alles in allem zehn Jahre voraus. Die beginnen heute größtenteils erst ab 30, sich zu diesen Themen Gedanken zu machen, aber einfach, weil es heute oft Studium, Ausbildung und auch der Arbeitsmarkt viel komplizierter machen.

Die Zeit zwischen 20 und 30 habe ich auch als Zeit mit politischen Interessen im Gedächtnis. Mein Papa war SPD-Anhänger, und ich tendierte zur CSU. Diese Diskussionen sind mir heute noch gut in Erinnerung. In mir wuchs die Rebellion, mehr für Frauenpolitik zu tun. Es kam, wie es kommen musste. Mit 28 ließ ich mich das erste Mal für den Gemeinderat aufstellen. Zu der Zeit ha­ben 14 Männer und der Bürgermeister den Ort „regiert“! Ganz klar, das war 1982 ein kleiner Aufruhr. Die Männer mussten sich plötzlich daran gewöhnen, dass sich eine Frau für dieses Amt interessiert. Um es kurz zu fassen: 1990 habe ich es dann geschafft und war die erste Gemeinderätin. Obwohl ich immer Frauen anwerben wollte, gab es erst zwölf Jahre später eine weitere Frau im Gremium. Ich habe nicht aufgehört zu kämpfen, und mittlerweile sind wir zu viert. Ich bin stolz, dass es mir gelungen ist, diese Männerdomäne zu durchbrechen.

Zum Abschluss möchte ich vermelden, dass ich jetzt zum neuen Jahr in den Kreistag nachgerückt bin. Es tut mir zwar für meinen Vorgänger, der das Amt aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, leid, aber unser Kreistag hat jetzt dafür eine Frau mehr! 

Edeltraud F., 64: Aktiv für die Familie 

Aufgewachsen als siebtes Kind mit noch weiteren neun Geschwistern habe ich mit 18 Jah­ren die Familienpflegeschule in München be­sucht. Vorher absolvierte ich die Haushaltungsschule im Kloster Waldsassen und eine zweijährige Berufsfachschule für Hauswirtschaft und Kinderpflege. Dadurch war mein Berufsweg zur Fa­milienpflegerin vorgezeichnet.

Eine Rebellion oder das Wort Pubertät waren damals für uns noch unbekannt. Aber ein Gespür der Wichtigkeit für eine gleichberechtigte Familienarbeit beider Partner war immer schon da. 

Mit 20 Jahren (1975) begann mein Berufsleben, und ich wurde gleich vor Ort Mitglied im KDFB. Ich habe mein eigenes Geld verdient und viele Reisen unternommen. Meine Rolle als Frau war aber für mich damals vorgegeben: eine Heirat und dann als Hausfrau und Mutter zu leben. Ich habe die Aufgabe als 23-jährige Frau angenommen und dann drei Kinder bis zum Studium begleitet. Für mich war es eine gute Zeit mit vielen freudigen Kindererlebnissen.

Mein Wiedereinstieg (1997) in den erlernten Beruf im Familienpflegewerk hat mich dranbleiben lassen am Puls der Zeit. Meine eigene Familienarbeit als Mutter ist sehr dienlich. Ich habe die Veränderungen in der Familienstruktur bis zur heutigen Zeit begleitet, und die Wertigkeit der Haus- und Familienarbeit in der Politik mit Sorge registriert (Thema: Rentengerechtigkeit).

Einen Traum konnte ich verwirklichen, in­dem meine beiden Söhne berufstätig sind und gleichberechtigte Familienarbeit leisten können, und die Tochter nach ihrem Studium einen guten Beruf ausüben kann.

Kerstin B., 28, und ihre Nachbarin, 83: Etwas unternehmen – und die Pflichten erfüllen

Mein Leben mit 20 Jahren war noch sorglos. 2009 beendete ich meine Ausbildung, träumte von großen Reisen, wobei ich die erste in die USA nach New York bereits gebucht hatte.
Ich machte mir nicht allzu viele Sorgen um die Zukunft, hatte ein vollständiges glückliches Zuhause. Es gab genug zu essen, und ich sparte mir etwas Geld.

Im Vergleich dazu war meine Nachbarin 1954 mit 20 Jahren bereits verheiratet, hatte ein Kind und arbeitete nebenbei. Arbeit hieß aber, zu Fuß kilometerweit bergauf zur Arbeitsstelle zu gelangen, dann erst mal mit der Arbeit beginnen und danach bei Wind und Wetter nach Hause zu gehen und mit der Kindererziehung weiterzumachen. Und natürlich musste ein warmes Essen auf dem Tisch stehen. Um das Brot zu holen, war ein fünf Kilometer langer Weg auf sich zu nehmen. Und das jede Woche!

Für mich stand zuallererst Party, Weggehen, Freunde treffen und Lebensfreude auf dem Programm. Nach der Arbeit in Regensburg hieß es, noch etwas zu unternehmen – man ist ja schließlich jung. Diese Einstellung hatten alle meine Freunde!

Für meine Nachbarin, ein Kriegskind, stand da erst mal der Wiederaufbau an, und es galt, das Überleben zu sichern. Wobei aus meiner Sicht die Menschen damals wohl eher mit weniger zufrieden waren … was traurigerweise die Menschen heute nicht mehr kennen …

Meine Rolle als Frau: Ich war wohl eher noch ein Mädchen, denn ich suchte erst einen Freund; lebte unbeschwert mit Freundinnen. Wir stellten uns die Frage, wann wir mit wem weggehen könnten.

Meine Nachbarin hatte da schon genug als Frau zu tun, was in dieser Zeit aber als selbstverständlich angesehen war: Kindererziehung und Haushalt, nebenbei noch arbeiten, um Lebensmittel kaufen zu können.

Als Teenager rebelliert man wohl gegen bald alles und jeden. Das Internet, die Lehrer, die doofe Freundin … Meine Nachbarin hingegen hat gegen gar nichts rebelliert. Sie tat ihre Pflicht und war damit mehr als eingespannt. 

Konnte ich Träume von damals verwirklichen? Meine Nachbarin sagt: Nein – man hatte keine Träume. Und ich habe mehr erreicht, als ich mir geträumt habe. Ich habe einen Freund gefunden, der nun mein Mann ist. Er sucht viele Reiseziele für uns heraus, und in unserer Hochzeitsreise ging es einmal um die Welt – dass hatte ich mir mit 20 Jahren nicht ausmalen können.

Was ich mir für die Zukunft wünsche: eine glückliche, friedliche Familie. Und das die Menschen wieder mal zufrieden sein können mit dem, was sie haben, und nicht immer mehr und noch mehr wollen!

Ute E., 66: So jung und schon zwei Kinder!

Im Januar 1972 war ich 20 Jahre alt. In diesem Jahr kam mein zweiter Sohn Kai zur Welt. Uwe, der Erstgeborene, war bereits zweieinhalb Jahre alt. In diesen jungen Jahren bereits zwei Kinder zu versorgen, war eine große Herausforderung. Mein Mann und ich versuchten damals, diese Aufgabe mit vollem Einsatz, ohne jegliche Unterstützung zu meistern. Was nicht immer gelang! Miete, Haushalt usw. brachten uns oftmals an unser finanzielles Limit.

Von da an konnte mein Traum, die Ausbildung zu der Krankenschwester fortzuführen, nicht mehr erfüllt werden. Aus finanzieller Not heraus zogen wir im November 1972.von Hessen nach Bayern. Mein Mann hatte sich zu vier Jahren Bundeswehr verpflichtet. Das sicherte uns ein beständiges Einkommen.

Damals hörte ich in meinem Umfeld oftmals die Aussage: So jung und schon zwei Kinder!

Später kam die Frage: „Was hast du beruflich gemacht?“ Wollte Krankenschwester werden, aber dann! So vergingen die Jahre, die mit zusätzlichen Geldverdienen und Sparen angefüllt waren.

Der erste große Wunsch, der wir uns erfüllt haben, war ein Fernseher. Das Geld, was ich durch meine Putzstelle angespart hatte, ermöglichte den Kauf. Nach Jahren ohne Urlaub und Auto kamen weitere Wünsche und Träume hinzu.

In unserem damaligen Bekanntenkreis gab es Ehepaare, die bereits ein Auto hatten 

und nach Italien in den Urlaub gefahren sind. Auch wir wollten mit unseren Kindern solche Erlebnisse haben. Das spornte uns zu weiteren Höchstleistungen an.

Im darauffolgenden Jahr erwarben wir einen gebrauchten R4. Mit dem fuhren wir in den Sommerferien an den Ammersee zum Zelten. Im Laufe der Jahre erfüllten wir uns einige der lang ersehnten Träume und Wünsche. 

Elisabeth F., 76: Der Traum von einer großen Familie

Als ich 20 wurde, war ich bereits seit mehr als zwei Jahren verheiratet, hatte eine halbjährige Tochter und war mit der zweiten schwanger. Dass es wieder eine Tochter sein würde, wusste ich damals, 1962, natürlich nicht. Wir wohnten auf dem Land in meinem Elternhaus, das wir uns mit meiner Mutter teilten. Sie war die dominante Person in unserem gemeinsamen Haushalt. Zum Haus gehörten annähernd 3000 Quadratmeter Grund, davon mindestens 200 Quadratmeter Gemüsegarten, dazu ein großer Obstgarten. Mein Vater war 1959 gestorben, also blieb die gesamte Arbeit an meiner Mutter und mir hängen. Mein Mann, Dipl.-Physiker, war den Tag über in der Arbeit, und am Wochenende fuhren wir oft zu seinen Eltern in den Chiemgau. Er kam aus einem völlig anders gearteten Haushalt und musste sich erst mit den Anforderungen des unsrigen vertraut machen, die nun auch an ihn gestellt wurden.

Es war die Zeit der aufblühenden Wirtschaft, und wir konnten uns immerhin einen Kleinwagen leisten, wenn auch per Bankkredit. Mit den Kindern machte man kein großes Gedöns, sie waren da, wurden nach festem Zeitplan gefüttert und gepflegt und erzogen. Ansonsten hatte der Haushalt Vorrang, der musste funktionieren.

Mit 20 Jahren war ich 1962 immer noch nicht volljährig. Das bekam ich vor allem von meiner Mutter zu spüren, für sie war ich – übrigens zeitlebens – das Kind, dem man sagte, „wo’s langgeht“. Mein Mann – neun Jahr älter als ich – hingegen war sehr tolerant, wusste sich aber auch meiner Mutter gegenüber nicht durchzusetzen. Es wurde mir erst Jahrzehnte später bewusst, als er schon längst nicht mehr lebte, dass er im Grunde denselben behüteten Verhältnissen mit einer dominanten Mutter entsprungen war.

Wogegen habe ich rebelliert? Natürlich vor allem gegen meine Mutter, die sich in alles eingemischt hat, seien es Kindererziehung, Haushaltsführung, Verhaltensregeln. Sie wusste alles besser, und ihre wirklich tatkräftige Mithilfe bekam ich auch regelmäßig von ihr „aufs Butterbrot geschmiert“.

Ob ich Träume verwirklichen konnte? Vorerst nur den einen Traum einer großen Familie. Mein Mann und ich, wir hatten/haben zwar beide je einen viel älteren Bruder. Der meines Mannes fiel bereits 1942 in Russland. Wir sind also beide mehr oder weniger als Einzelkind aufgewachsen und wünschten uns vier bis fünf Kinder. Die hatten wir dann auch im November 1966 beisammen, vier Töchter und einen Sohn. Träume konnte ich erst sehr viel später verwirklichen, zum Beispiel eine abgeschlossene Berufsausbildung. Da war ich bereits mehrfache Großmutter.

Nach dem Tod meines Mannes unternahm ich mit meinen Kindern wunderbare Bergtouren in Südtirol. Mit meinem zweiten Mann durfte ich schöne Reisen machen. Vor elf Jahren, mein zweiter Mann war inzwischen auch verstorben, habe ich mich allein auf den bayrisch-schwäbischen Jakobsweg gemacht und bin in sieben Tagen von Bad Wörishofen bis Lindau gewandert. Vor zehn Jahren bin ich sechs Tage lang mit meiner zweiten Tochter einen Teil des Altmühltal-Panoramawegs gewandert und vor sieben Jahren habe ich mit ihr den Stundenweg von Müstair in der Schweiz zum Kloster Marienberg im Vinschgau in acht Stunden bewältigt. Mein Leben ist vor allem mit zunehmendem Alter reich geworden. Ich darf mich an zwölf Enkeln und drei Urenkeln erfreuen, übe noch einige Ehrenämter aus. Und ich möchte ganz gewiss keine 20 Jahre mehr alt sein.

Hildegard F., 77: Ideale leben – das bringt Glück

Mit 20 hat frau/man Träume?,Naja – da haben wir viel auf dem Hof gearbeitet, weil die Eltern alt waren und die großen Schwestern fortgeheiratet hatten. Aber am Samstag ging ich mit dem Bruder auf viele Bälle in Tanzsälen, eine erlebnisreiche Zeit war das! 1961 war das bei uns – Landjugend und Kirchenchor; auch das Brauchtum des Kirchenjahres wurde gefeiert …

„Gott vertraut – gut gebaut“ ist heute unser Hausspruch, den ich damals in mein Tagebuch schrieb. Der Bruder suchte nach einer fleißigen, netten Bäuerin. Und weil er ein Fescher war, hatte ich so viele Freundinnen wie Sand am Meer, die aber alle verschwanden, als er heiratete! 35 DM war mein Eigenes auf dem Sparbuch, und ich war glücklich, wenn Nichten und Neffen zu Besuch kamen! Ein Jazzabend fand in der Stadthalle statt, ein „bunter Abend“ bei der Jugendgruppe, gerade in der Getreide-Erntezeit, es brachte mich an Kraftgrenzen …!

Damals hatte ich viele Ideale, die ich später auch lebte, die mir zu Lebensglück und Freude verhalfen, zum Beispiel: „Sage nicht alles, was du weißt, aber wisse alles, was du sagst!“ Ich wurde eine Kindergärtnerin. Die Lehar-Operette „Land des Lächelns“ gefiel mir, und das Schauspiel „Nathan der Weise“. Eine Fußwallfahrt nach Altötting machte ich mit – und mein Leben war gesegnet!

„Mit 17 hat man noch Träume“ – dies sang ich schallend beim Kühemelken zur Freude des Nachbarn!

Gabriele Greef, 68: Beseelt, die Welt zu verändern

Mit 20 studierte ich mit Begeisterung. Wusste schon, dass ich nach dem ersten Studium zur Grund-und Hauptschullehrerin ein zweites Studium anhängen wollte: Diplompädagogik mit Schwerpunkt Sozialpädagogik. Es war 1970, und ich war beseelt, die Welt zu verändern. Bessere Schulen, mehr Pädagogik im Unterricht, Resozialisierung junger Straftäter statt Jugendknast und ich wusste: Wenn ich fertig bin, werde ich keine Beamtin. Ich lernte mit 20 meinen jetzigen Mann kennen, einen Seelenverwandten.

Was ist aus den Träumen geworden? Die Abschlüsse habe ich wie gewünscht absolviert. Ich habe als Assistentin an der FHS Koblenz, Bereich Sozialpädagogik, mit Studenten gearbeitet. Doch die meiste Zeit arbeitete ich als Lehrerin mit lernbehinderten und verhaltensgestörten Kindern.

Viele meiner Träume sind wahr geworden. Heute möchte ich immer noch die Welt verändern. Doch ich träume und kämpfe nicht mehr alleine. Ich engagiere mich in der kfd, im Netzwerk Diakonat der Frau und gerne auch im KDFB. 

Erika H., 79: Hinaus in die Welt!

1939 wurde ich als Zwillingsschwester in Frankfurt/M. geboren. Unsere Mutter wohnte noch zu Hause bei ihrer Mutter, während unser Vater 1937 von Stuttgart zum Aufbau der Bosch-Werke nach Hildesheim kam. Im Laufe der Jahre wurden wir ein „Viermädelhaus“ mitten in der Neubausiedlung Hildesheimer Wald. Dort verlebten wir verhältnismäßig ruhige Kriegsjahre. Mein Vater betonte immer wieder, wie gut es uns doch ginge, im Gegensatz zur Verwandtschaft in Frankfurt, so durch Bombenhagel ein Neffe Vater und Mutter verlor. Die Zerstörung Hildesheims durch englischen Fliegerangriff am 22. März 1945 habe ich noch in furchtbarer Erinnerung.

Von 1951 bis 1960 besuchte ich das Goethegymnasium in Hildesheim und schloss meine Ausbildung als Erzieherin ab. Nun wollte ich hinaus in die Welt. Einen ersten Versuch machte ich schon von 1957 bis 1958 als Praktikantin in München bei einer Familie, in der drei Kinder aufwuchsen. In meiner Freizeit lernte ich ein SOS-Kinderdorf am Ammersee kennen. So entstand mein Wunsch, später einmal in einer solchen Einrichtung arbeiten zu wollen.

Im April 1960 begann ich dann auch meine berufliche Laufbahn in einem SOS-Pestalozzi-Dorf in Hamburg-Ohlsdorf. Nach dreieinhalb Jahren, in denen ich erste berufliche Erfahrungen sammeln konnte, wechselte ich in die Landestaubstummenanstalt in Hildesheim. Dort fand ich in der Betreuung und Erziehung gehörloser Internatskinder meine berufliche Erfüllung. Außerdem lernte ich in dieser Einrichtung meinen zukünftigen Mann kennen.

Nach der Heirat 1969 kam im April 1971 unsere erste Tochter Christiane zur Welt – und wie es sich in der damaligen Zeit gehörte, blieb ich zu Hause. Aber schon bald nach der Geburt der zweiten Tochter Michaela im Juni 1972 erhielt ich nach meinem ersten Wahlkampf für die CDU einen Sitz im Ortsrat. Kurze Zeit später ein Ehrenamt in der Frauen Union, im Jugendhilfeausschuss und in der Seniorenarbeit. Später sogar einen Sitz im Stadtrat der Stadt Hildesheim. Die ehrenamtliche Tätigkeit machte mir viel Freude – und ich vermisste den Beruf gar nicht mehr.

Als wir 1977 ein gehörloses Pflegekind in unsere Familie aufnahmen, bekam ich erste Bedenken, ob ich denn wohl allen Aufgabe gerecht werden würde. Aber ich schaffte das. Das gehörlose Mädchen Christine erhielt ein recht gutes Abschlusszeugnis der Hauptschule der Gehörlosenschule. Sie meisterte eine Ausbildung als Herrenschneiderin in einem bekannten Konfektionsbetrieb in Northeim und konnte so auch wieder zu Hause wohnen.

Nach den Sommerferien 1985 ergab es sich, dass ich wieder im Kindergarten der inzwischen umbenannten Taubstummenanstalt in das „Landesbildungszentrum für Hörgeschädigte“ arbeiten konnte. Dort war ich halbtags im Kindergarten tätig und konnte so am Nachmittag und Abend meine ehrenamtlichen Tätigkeiten fortführen; insbesondere als Schöffin am Land- beziehungsweise Amtsgericht und im Jugendhilfeausschuss. Von 1995 bis 2011 war ich als Diözesanvorsitzende im KDFB gewählt. Diese Aufgabe habe ich gern und engagiert getan.

Für meine umfassende ehrenamtliche Tätigkeit erhielt ich im April 2011 durch den damaligen Bundespräsidenten Wulff das Bundesverdienstkreuz. Heute bin ich eine zufriedene Ehefrau und glückliche Großmutter von vier Enkelkindern.

Wally K.: Glück in Ehe und Familie

Ich träumte mit 20 Jahren von Familie mit drei bis vier Kindern. Das stimmt nicht ganz. Nach einer religiösen Woche in einer Klosterschule, die ich besuchen durfte, war mir klar, ich will heiraten und drei bis vier Kinder. Mein erlernter Beruf – Textillaborantin – machte mir keinen Spaß, ich wurde gemobbt und hatte einen mürrischen, unmöglichen Chef. Meinen Mann lernte ich mit 16 Jahren kennen – es war für mich Liebe auf den ersten Blick. Wir gingen miteinander, wie man damals sagte.

Mein Mann war Landwirt und seine Eltern betrieben ein Ausflugslokal. Ich habe etwa mit 17 Jahren mit ihm „Schluss gemacht“, weil ich glaubte, es braucht eine Frau aus der Landwirtschaft oder aus der Gastronomie. Nach ein paar Wochen kam er wieder zu mir. 

Als ich 20 war, sagte der „liebe Gott“: Jetzt wird sie schwanger, dann werden sie heiraten. Seine Eltern sagten: Dieses Mädchen heiratest du. Sie ist ein lieber Mensch und wird das, was sie nicht kann, schon lernen. 

Mein Vater sagte: Wenn du diesen Mann nicht heiraten willst, aus welchen Gründen auch immer, brauchst du das nicht. Aber ich liebte diesen Mann, und ich wollte ja Familie und drei bis vier Kinder. Es wäre für mich eine große Enttäuschung gewesen, wenn er mich nicht geheiratet hätte.

Ich bekam vier Kinder. Die Geburt meiner Kinder sind die Höhepunkte in meinem Leben. Inzwischen habe ich auch fünf Enkelkinder. Mein Mann ist letztes Jahr verstorben, wir waren 49 Jahr verheiratet.

Dr. Birgit L., 63: Auf eigenen Beinen stehen

An den Tag meines 20. Geburtstags im Sommer 1985 kann ich mich nicht erinnern, doch es war die Zeit zwischen Abitur und Studium. Ich jobbte als Tellerwäscherin in einem Schlosshotel, verdingte mich als Nachhilfelehrerin für Mathematik, belegte einen zweiwöchigen Russischkurs in der Jugendherberge Rüsselsheim und besuchte den Studienvorkurs Mathematik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Ein Ortswechsel stand bevor: Es zog mich in die Ferne. Im November sollte mein Jurastudium in Bayreuth beginnen. Meine beste Schulfreundin ging ebenfalls nach Bayreuth, allerdings, um dort Afrikanistik, Islamwissenschaft und Ethnologie zu studieren. Während meines Studiums lebte ich weitgehend von dem Geld, das mir meine alleinerziehende, berufstätige Mutter überwies. BAFÖG bekam ich nicht. Ich bedauerte, dass es an der damals noch jungen Universität Bayreuth kein Institut für Germanistik gab. Die strafrechtlichen Erstsemesterveranstaltungen gründeten auf dem zweistufigen Verbrechensaufbau, einer Mindermeinung, und das, wo die renommierten Vertreter herrschender juristischer Lehrmeinungen in unmittelbarer Nähe meines „Omahauses“ in Münster wohnten und lehrten. 

Die Wintermonate waren in Bayreuth kalt. 1987 herrschten in Nordostoberfranken, dem „Sibirien von Bayern“, zeitweise Temperaturen von minus 30 Grad, wobei die Heizung in dem kleinen Studentenwohnheim nicht immer funktionierte. Ob man die Auswirkungen des Reaktorunglücks in Tschernobyl in Bayreuth stärker spürte als im heimischen Münster?

Ich litt unter Heimweh. So nahm es nicht Wunder, dass ich schon im vierten Semester wieder zum Studieren nach Münster wechselte, wo überdies die rechtswissenschaftliche Fakultät einen guten Ruf genoss. In Münster besuchte ich neben juristischen auch mehrere geisteswissenschaftliche Lehrveranstaltungen, doch ich merkte bald, dass man ein vollständiges Magisterstudium in Germanistik, Philosophie und Latein nicht einfach so nebenbei absolvieren konnte.

Meine Mutter hatte mir schon während meiner Schulzeit vermittelt, dass eine Frau auf eigenen Beinen stehen und nicht vom Einkommen eines Mannes abhängig sein sollte. Das Wichtigste, das man einem Mädchen mitgeben könne, sei eine gute Ausbildung. Und so verdiene ich meinen Lebensunterhalt heute als Volljuristin in Münster. Geheiratet habe ich nicht.

Maria P., 63: Über Nacht erwachsen

Auch wenn ich nicht genau wusste, was mit der Volljährigkeit eigentlich besser oder anders in meinem Leben werden sollte – den Führerschein hatte ich mit 18 gemacht und die Schulzeit war durch den zweiten Bildungsweg auch noch nicht beendet – so erwartete ich doch sehnsüchtig meinen 21. Geburtstag, der mir die Tür zum Erwachsensein, quasi ins „Gelobte Land“ öffnen würde. Und dann kam alles ganz anders!

Am 22. März 1974 beschloss die Bundesregierung, die Altersgrenze der Volljährigkeit von 21 auf 18 Jahre zu senken; der Beschluss wurde am 1. Januar 1975 rechtskräftig. Und ich war über Nacht – einfach so – volljährig, ohne besondere Feier und Aufmerksamkeit. Ich war maßlos enttäuscht und fühlte mich so, als hätte man mich während des Endspurt zum Ziel gestoppt und mir bedeutet „Du brauchst dich gar nicht mehr anstrengen, du bist schon am Ziel!“

Und so feierte ich meinen 20. Geburtstag im September 1975 ohne besondere Euphorie, und der 21. Geburtstag war eigentlich total bedeutungslos, bis auf die Tatsache, dass ich seit Sommer mein BOS-Abitur in der Tasche hatte und im November mit dem Studium in München beginnen wollte. Aber wenigstens konnte ich in den beiden letzten Schuljahren meine Krankmeldungen, Leistungserhebungen und andere bürokratischen Schreiben von und für die Schule selbst unterschreiben. Und das tat ich dann auch – mit Schwung und Genuss!

Heike P., 45: Lebenslust, Zuversicht und positive Energie 

Ich habe das große Glück, 1973 in einem kleinen Dorf in Deutschland geboren zu sein. Ich verlebte eine glückliche Kindheit – ohne existentielle Sorgen, Naturkatastrophen, Krieg, Hungerperioden oder sexuelle Übergriffe. Ich genoss eine „goldene Ära“ des wirtschaftlichen Aufschwungs und konnte behütet aufwachsen. Dass ich mich geliebt und geborgen fühlte, hat meine ganze Lebenseinstellung geprägt. Im Alter von 20 Jahren platze ich fast vor Lebenslust, Zuversicht und positiver Energie. Ich blickte voller Erwartung meiner Zukunft entgegen. Zwar hatte ich durchaus schon den ein oder anderen Tiefschlag hinnehmen müssen, aber mein unerschütterliches Urvertauen war ungebrochen. Ich hatte mein Abitur in der Tasche, baute mir gerade meine berufliche Karriere auf und die Liebe meines Lebens machte mir einen Heiratsantrag. Mein Leben war rosarot, und meine Träume drehten sich in erster Line um mich selbst oder meine Familie. Aber mein Horizont war damals noch sehr klein.

In dieser Zeit gab es weltpolitische Entwicklungen, an die ich mich heute noch erinnern kann. Im ehemaligen Jugoslawien tobte der Krieg. Die Gefechte waren entsetzlich nah und doch gleichzeitig ganz weit weg. Amerika hatte mit den Nachwirkungen des zweiten Golfkrieges zu kämpfen. Doch das alles nahm ich nicht als unmittelbare Bedrohung war. Die Welt war ja so riesengroß. 

Dann kam der Bombenanschag auf das World-Trade-Centre. Dies war der erste islamistische Terroranschlag auf dem Staatsgebiet der Vereinigten Staaten. Niemand hätte damals gedacht, dass das der Auftakt einer langen Reihe sein würde, der die ganze Welt erschüttert. Und die Welt ist inzwischen sehr klein geworden, plötzlich ist man ganz nah dran. Heute kann ich nicht mehr ganz so naiv und zuversichtlich in die Zukunft blicken. Es mischen sich viele Bedenken in meine Träume. Mein Horizont ist inzwischen sehr viel weiter geworden – und das lässt mich Gefahren und Hemmschwellen wahrnehmen, die ich vorher nicht sah. Manchmal stehe ich mir selbst im Weg, wenn es darum geht, meine Träume zu verwirklichen.

Meine Tochter ist jetzt ebenfalls in ihrem 20. Lebensjahr. Ihre Träume und Ziele unterscheiden sich von meinen. Ich habe festgestellt, dass die Mädchen heute viel mehr Wert auf Selbstverwirklichung legen. Sicherheit und Geborgenheit treten etwas in den Hintergrund. Wie wohl die Träume ihrer Tochter einst aussehen werden? Ich hoffe, ich kann mich eines Tages mit meiner Enkelin darüber unterhalten. Auch das ist ein Traum von mir…

Hildegard R., 70: Aufwärts!

Ich habe mit 20 Jahren geheiratet, und wenn mein Mann vergangenes Jahr nicht gestorben wäre, hätten wir jetzt Goldene Hochzeit feiern können. Das ist zwar sehr schade, aber 49 Jahre Ehe sind auch ein großes Geschenk. Damals musste mein Vater noch die Einwilligung zur Hochzeit geben, da man erst mit 21 Jahren volljährig war.

Politik hat mich überhaupt nicht interessiert, obwohl gerade mein Jahrgang die berühmten 68-er waren, die gegen alles protestiert haben. 

Mein Mann und ich hatten damals nicht viel Geld zum Leben, aber wir haben das Bisschen sehr gut eingeteilt und waren glücklich in unserer ersten gemeinsamen Wohnung, die kein Bad hatte. Samstags sind wir immer ins Städtische Bad gegangen, so wie es viele zu der Zeit gemacht haben. 

Am Monatsanfang hat man vorsichtig bei der Bank gefragt, ob der Lohn schon überwiesen ist, dann hat man sich 20 DM geholt und damit die Woche über gelebt. Wenn das Geld noch nicht da war, ist man selbstverständlich wieder gegangen. Niemals wäre uns eingefallen, Geld von der Bank zu holen, das man nicht hatte. Kleine Wünsche waren schon da, aber man sah erst mal in den Geldbeutel, wenn nichts drin war, war der Wunsch nicht mehr wichtig. 

Eine Hochzeitsreise war aus finanziellen Gründen 1968 nicht drin, die haben wir dann zur Silberhochzeit großzügig nachgeholt. Auch die einfache Wohnung ohne Bad wurde, ohne groß zu planen, später ein Zweifamilien-Wohn- und Geschäftshaus, da sich mein Mann selbstständig machte und ich zu seinem Beruf umgeschult habe. 

Nie hätte ich mit 20 gedacht, dass wir später mal zwei Autos fahren, alle Telefone besitzen, in Urlaub fahren können. Mein Mann war schon als Kind Vollwaise, also ohne große finanzielle Erwartungen von Seiten der Eltern, und ich stamme aus einer kinderreichen Familie und war eines der älteren Kinder. Meinen jüngeren Geschwistern ging es schon besser. Aber niemals haben wir beide, mein Mann und ich, gedacht, dass wir arm sind. Die meisten anderen Leute hatten genauso viel oder wenig wie wir. Uns hat das einfach gereicht. Und wir hatten immer das Gefühl, dass es bei uns aufwärts gegangen ist. Niemals ging es rückläufig, es war eben die Zeit des Wirtschaftswunders. 

Am meisten haben wir uns immer gefreut, dass wir alles alleine geschafft haben, mit unserer Hände Arbeit, und wir haben uns oft im Nachhinein gewundert, dass das so gut gegangen ist, und waren immer dankbar unserem Herrgott gegenüber für die schönen Tage und die gute Zeit.

Beate V., 55: Schulterpolster und Tennissocken

Meinen 20. Geburtstag feierte ich im Jahr 1983. Modisch in waren damals Schulterpolster und der „Vokuhila-Haarschnitt“, ebenfalls weiße Tennissocken und Stirnbänder. Ich interessierte mich allerdings mehr für Musik und hörte Mike Oldfield oder Phil Collins. Geprägt war diese Zeit für mich hauptsächlich von meiner Berufswahl. Als gute Realschülerin träumte ich immer davon, das Abitur nachzumachen, und hatte als Berufswunsch Journalistin oder Buchhändlerin vor Augen.

Es fehlte mir dann aber der Mut und die Entschlossenheit für diesen Schritt. Ich zog einen sicheren Ausbildungsplatz in einer Behörde dem weiteren Schulbesuch vor und redete mir ein, mit Beruf schließlich auch noch alle Möglichkeiten offen zu haben. Eine gute Freundin sagte mir damals: „Da hörst du nie wieder auf!“ Das gefiel mir natürlich nicht, aber sie sollte Recht behalten.

Ich war zu dieser Zeit schon fest mit meinem jetzigen Ehemann zusammen, und wir sprachen von Heirat und Familienplanung. Das war in den 80er-Jahren nichts Ungewöhnliches, und einige meiner Freundinnen und Klassenkameradinnen heirateten damals ebenfalls so jung.

Obwohl ich von Anfang an spürte, dass meine Berufswahl nicht die richtige war, habe ich mich dann einfach nicht mehr „getraut“, ja hatte regelrecht Angst davor, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen und den zweiten Bildungsweg zu beschreiten. Mit der Geburt meiner beiden Kinder traten die Gedanken an berufliche Veränderung in den Hintergrund, denn für meinen Mann und mich war es selbstverständlich, dass ich eine lange Beurlaubung zur Erziehung der Kinder beantragen würde.

Der Vorteil des sicheren Berufes brachte es mit sich, dass ich nach vielen Jahren daheim recht einfach den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben fand. Das empfand ich damals natürlich als Vorteil. Einige meiner Freundinnen hatten es da nicht so bequem und mussten diverse Fortbildungsmaßnahmen übers Arbeitsamt absolvieren oder entschieden sich gar dafür, nach der Erziehungszeit nochmals eine neue Berufsausbildung zu beginnen.

Privat engagierte ich mich in diesen Jahren ehrenamtlich in der örtlichen Mutter-Kind-Gruppe, in unserer Pfarrgemeinde und im Frauenbund. Diese Zeit war fruchtbar und schön, mit vielen wunderbaren Erlebnissen und Begegnungen. Es gab zahlreiche Möglichkeiten, etwas zu gestalten und zu bewegen. Mittlerweile bin ich zudem begeisterte Großmutter zweier prächtiger Enkelkinder.

Auf meine Träume von früher blicke ich aber mit ein bisschen Wehmut zurück. Was wäre gewesen, wenn..? Allerdings ist mir jetzt noch klarer als früher, dass es für Veränderungen immer den berühmten ersten Schritt braucht. Der Sprung ins kalte Wasser ist nichts für Angsthasen. Und doch ist es bekanntlich niemals zu spät. Wenn ich den wohlwollenden Berichten in den diversen Hochglanzmagazinen glauben darf, dann bin ich jetzt eine Frau in den besten Jahren. Und als solche will ich fest entschlossen mit offenem Blick danach schauen, welche Möglichkeiten sich mir jetzt noch bieten.

aus: KDFB Engagiert 8+9/2018

Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) ist ein unabhängiger Frauenverband mit bundesweit 145.000 Mitgliedern. Seit der Gründung 1903 setzt er sich für Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen in Kirche, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ein.
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