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Die Macht der Mädchen

23.11.2020

Bei Missständen passiv zusehen? Das ist ihre Sache nicht. Aktivistinnen nehmen die Dinge selbst in die Hand und schaffen Tatsachen. KDFB engagiert stellt drei junge Frauen vor, die Politik mit ihrem Smartphone machen.          

Dass junge Menschen unpolitisch seien, darüber klagt spätestens seit dem Auftreten von Greta Thunberg kaum jemand mehr. Insbesondere junge Frauen engagieren sich zunehmend, wie Studien belegen. Sie sind gebildet, weltoffen, wollen mitgestalten – und haben immer ihr Smartphone dabei. Damit können sie sich schnellstens mitteilen, vernetzen und erstaunlich viel in Bewegung bringen, vorbei am althergebrachten Politikbetrieb. Das mag die einen verunsichern, die anderen begeistern. Für die Generation Z, geboren zwischen 1995 und 2010, ist es nur natürlich. Die heute etwa Zwanzigjährigen sind es nicht nur gewohnt, Informationen jederzeit und überall zur Hand zu haben, sie sind auch tatsächlich nonstop online, meist in sozialen Netzwerken. So kann es passieren, dass eine junge Frau von zu Hause aus innerhalb kürzester Zeit Tausende Anhänger für ein Anliegen gewinnt, das ihr wichtig ist. Digitale und analoge Wirklichkeit verschmelzen, und Politiker*innen reiben sich die Augen. Denn sie können auf einmal unter Druck gesetzt werden von einer Initiative, die sich unkontrolliert jenseits des offiziellen Betriebs entwickelt. Aktivist*innen, so heißen Menschen, die Onlinepetitionen erstellen oder zu Straßenprotesten aufrufen. Ob YouTube, Instagram, Snapchat oder Facebook – soziale Medien sind längst zur politischen Plattform geworden. Und weil junge Frauen auf ihnen besonders aktiv sind, können gerade sie mittels Smartphone Einfluss ausüben. So unterschiedlich ihre Anliegen auch sein mögen, einiges verbindet die jungen Aktivistinnen: Sie scheinen ein feines Gespür für gesellschaftliche Werte zu haben, empören sich über Ungerechtigkeit und glauben fest daran, ihre Forderungen durchzusetzen. Eine neue politische Kultur mit ungeahnten Möglichkeiten ist im Entstehen – beunruhigend für diejenigen, die es eher traditionell mögen, aber auch faszinierend. Hier geschieht Zukunft.

Sicherheit für Frauen auf Volksfesten

Viktoria Schuck ist eine, die Volksfeste liebt. Auf der Dult in Regensburg, ihrer Heimatstadt, ist sie meist mit dabei. Gerne zieht die 22-jährige KDFB-Frau ihr Dirndl an und mischt sich unter die Menge. Sie mag die ausgelassene Stimmung, und wenn beim Bieranstich eine Melodie angestimmt wird, singt sie mit. Doch 2020 ist alles anders. Während die Pandemie dafür sorgt, dass in Sachen Volksfest gar nichts geht, ist Viktoria Schuck auf eine ungewöhnliche Weise trotzdem damit befasst. Zunächst geht es um einen Bierzelthit – das „Donaulied“. Bereits mitten im Sommer gerät das Musikstück in die Schlagzeilen. Dafür sorgt die Passauer Studentin Corinna Schütz, die mit einer Petition erreichen will, dass dieses alte Sauflied nicht mehr gespielt wird. Der Grund: Der Text schildert die Vergewaltigung eines Mädchens, das am Donauufer eingeschlafen ist. Offensichtlich verharmlost das Lied ein Verbrechen, wenn es etwa heißt: „Ich machte mich über die Schlafende her, ohohoholalala …“.

Während die meisten in bierseliger Stimmung schunkeln und mitgrölen, macht Viktoria Schuck bei diesem Lied demonstrativ nicht mit. Und als sie von der Petition erfährt, ist sie sofort dabei. Zusammen mit der Initiatorin will sie erreichen, dass dieses sexistische Lied Frauen die Freude am Volksfest nicht mehr verdirbt. Stolz kann sie nun von 36 000 Unterschriften berichten, die aus ganz Deutschland zusammenkamen. Eine stammt vom Passauer Frauenbund. Zwei Schwesterpetitionen in den Donaustädten Regensburg und Straubing zogen nach. Im rheinland-pfälzischen Montabaur ließ sich eine Stadträtin von der Initiative inspirieren und setzte dort ein Verbot des Liedes durch. Doch das alles ist nur ein Anfang. „Uns wurde schnell klar, dass es sich bei diesem Anliegen um keine Eintagsfliege handelt“, sagt Viktoria, die in Den Haag internationale Beziehungen und Diplomatie studiert, dabei viel Wert auf bayerische Kultur legt.

Unbeschwert feiern ­ – auch als Frau

Die Petition zieht Kreise und liegt jetzt dem Bayerischen Landtag vor. Inzwischen geht das Engagement aber weit über das Donaulied hinaus. Zusammen mit einer Kerngruppe von etwa einem Dutzend junger Menschen arbeitet Viktoria derzeit an einem Konzept für Frauensicherheit auf Volksfesten. Wenn sie endlich wieder stattfinden dürfen, sollen Frauen dort besser vor sexuellen Übergriffen geschützt werden. Politiker*innen und Gleichstellungsbeauftragte unterstützen das Anliegen. Die Facebook-Gemeinde des Projekts ist inzwischen auf 2000 Menschen angewachsen. Viktoria weiß, wie sehr dieses Engagement nottut. Unter anderem berichtet sie von Bierzelt-Kellnerinnen, die sich mit Radlerhosen unter ihrem Dirndl schützen. Denn während sie schwere Bierkrüge schleppen, gleitet etwa 50 Mal pro Nacht eine Männerhand unter ihren Rock.

Gemeinsam den Heimweg antreten

„Wir sind im Gespräch mit der Polizei und sehen uns um, welche Hilfe verschiedene Städte Frauen auf Volksfesten bereits bieten“, sagt Viktoria. Auf dem Rosenheimer Herbstfest zum Beispiel gibt es einen Treffpunkt für Frauen, die zu später Stunde gemeinsam nach Hause fahren wollen. Und das Münchner Oktoberfest bietet Frauen, die sich bedrängt oder verängstigt fühlen, einen speziellen Schutzraum. „All das muss bekannter werden“, meint Viktoria. So sollen künftig auf Damentoiletten der Volksfeste Plakate mit Notrufnummern und Informationen aushängen. Flyer sollen an Frauen verteilt werden. Auch spezielle Schulungen fürs Volksfestpersonal sind angedacht. Es gibt viel zu tun. „Deswegen suchen wir aktive Mitstreiterinnen, die uns in jeder Volksfeststadt Bayerns unterstützen“, sagt Viktoria Schuck, die sich über einen Brief des Passauer Frauenbundes freut, der bereits im Sommer Solidarität mit der Petition signalisiert hat.

Wer mitmachen möchte, kann sich per E-Mail bei agbs.passau@gmail.com melden oder die Webseite des Projekts besuchen: www.agbs-passau.de.

Aufstehen gegen Korruption

Es ist nicht lange her, da gab es ein politisches Erdbeben in der Slowakei, dessen Erschütterungen bis heute nachwirken. Vor knapp drei Jahren rollten Köpfe in der Führungsriege des Landes: Der Ministerpräsident und andere hochrangige Politiker mussten abdanken. Massenproteste fegten sie wegen Korruption aus dem Amt.

Kaum jemand außerhalb des kleinen EU-Landes weiß aber, dass dabei einem Mädchen aus einem Provinzort eine bedeutende Rolle zufiel – Karolína Farská. Es geschah im Februar 2017, die damals 18-Jährige war derart empört über Geschäftemacherei und Betrug in höchsten Kreisen, dass sie zu ihrem Smartphone griff und auf Facebook ihrem Ärger Luft machte. Nachdem sie hunderte zustimmende Kommentare erhielt, fasste sie Mut und rief gemeinsam mit einem Freund zu einem Protest in der Hauptstadt Bratislava auf. Es kamen nicht Hunderte, sondern Tausende Menschen. Weitere Demonstrationen folgten, auch in anderen Städten, immer mehr Menschen beteiligten sich.

Über Nacht zur öffentlichen Person

Die zierliche Gymnasiastin traf offensichtlich einen Nerv der Gesellschaft. Das hat fast über Nacht ihr Leben verändert: Auf einmal war sie eine öffentliche Person, stand auf Bühnen, sprach zu Menschenmassen, Zeitungen berichteten über sie. Ihr Abitur, das zu der Zeit anstand, schrieb sie nur so nebenbei. Anfang 2018 überschlugen sich dann die Ereignisse. Der junge Journalist Ján Kuciak wurde erschossen. Er hatte über Verbindungen von kriminellen Geschäftemachern zu Politikern recherchiert. Als Karolína Farská die Nachricht über den Mord an ihm und seiner Verlobten auf Facebook sah, dachte sie zunächst, das seien Fake News, so unglaublich erschien ihr das. Das Grauen aber war echt. Fassungslosigkeit machte sich breit. Erneut rief Karolína zu Protesten auf, für eine „anständige Slowakei“. Sie wollte nicht in einem Land leben, in dem Journalisten we­gen ihrer Arbeit getötet werden. Immer mehr Menschen gingen auf die Straßen, Zehntausende waren es. Die friedlichen Proteste, die das ganze Land erfassten, erinnerten an die Samtene Revolution, die 1989 das Ende des Kommunismus einläutete. 2018 aber stürzten die Demonstrierenden die amtierende Regierung. Seitdem ist in der Slowakei eine politische Erneuerung im Gange. Im Frühjahr 2019 wurde erstmals eine Frau ins Präsidentenamt gewählt – Zuzana Caputová, eine bis dahin kaum bekannte Rechtsanwältin. Und Anfang 2020 sorgten Wähler*innen dafür, dass eine politische Partei, die sich den Kampf gegen Korruption auf die Fahnen schrieb, die meisten Sitze im Parlament erhielt.

Eine junge Frau schreibt Geschichte

Unglaublich, aber wahr: Karolína Farská, eine schüchtern wirkende junge Frau, hat Geschichte geschrieben. Inzwischen ist sie 21 und studiert Politologie. Sie möchte auch in Zukunft die noch junge Demokratie in der Slowakei verteidigen – und das, obwohl ihr das politische Engagement nicht nur Freude bringt. Sie stößt auf Widerstand. Manche Menschen feinden sie an. Sie wird auf der Straße beschimpft, bekommt Hassbriefe, sogar Morddrohungen. Karolína aber möchte in einem anständigen Land leben, wie sie sagt, und fühlt sich verantwortlich dafür. „Wenn ich etwas ändern will, wer wird es für mich tun? Wohl niemand. Also muss ich selbst etwas tun“, ist ihr Credo.

Kostenfreie Hygieneartikel

Dieses Mädchen hat Kraft. Wenn Amika George auf der Bühne steht oder in einer Talkshow auf Fragen eingeht, blickt sie offen in Kameras und Gesichter. Sie redet laut und deutlich, ihr Lächeln strahlt. Nicht eine Spur Scham ist ihr anzumerken, obwohl sie öffentlich über ein Thema spricht, dem eine gewisse Peinlichkeit anhaftet. Es geht um die Monatsblutung. Amika George, die in Großbritannien lebt und 21 Jahre alt ist, erhebt seit fast vier Jahren ihre Stimme für Mädchen, die so arm sind, dass sie sich keine Tampons oder Binden kaufen können, wenn sie ihre Tage bekommen. Ja, das gibt es heute, sogar in einem so reichen Land wie Großbritannien, wird sie nicht müde zu betonen. Aber nicht nur dort, versteht sich. „Periodenarmut“ (period poverty) ist ein weltweit verbreitetes Übel. Und es hängt unmittelbar mit Ausbildungschancen zusammen.

Wenn die Monatsblutung dem Schulbesuch im Weg steht

Das weiß Amika George seit jenem Morgen im Frühjahr 2017, als sie beim Frühstück vor der Schule in ihrem Smartphone eine Nachricht entdeckt, die ihr den Atem verschlägt: Jedes zehnte Mädchen im Alter zwischen 14 und 21 Jahren in Großbritannien fehlt regelmäßig in der Schule – weil es seine Tage und damit ein Problem hat, denn Binden und Tampons sind für seine Familie unerschwinglich. Um auch während ihrer Periode am Unterricht teilzunehmen, müssten Mädchen aus armen Familien sich mit alten Socken, T-Shirt-Streifen, Zeitungs- oder Toilettenpapier behelfen. „Scheußlich, primitiv, inakzeptabel“, nennt es Amika. Wen wundert’s, dass viele dieser Mädchen dann lieber zu Hause bleiben – und damit eine Menge Lernstoff versäumen.

„Periodenarmut“ wird zum Schlagwort

Die damals 17-jährige Amika ist so empört, dass sie sofort beschließt zu handeln. Sie startet eine Kampagne, die sie #FreePeriods nennt. Das ist nicht schwer, denn ihr Smartphone ist ihr Helfer. Sie setzt sich einfach aufs Bett in ihrem Zimmer und tippt und wischt. Zunächst startet sie eine Online-Petition mit einem Appell an die britische Regierung: Schulmädchen aus armen Familien sollen Hygieneartikel für die Periode kostenfrei erhalten. Innerhalb weniger Wochen unterschreiben 1800 Menschen Amikas Forderung. Daraufhin organisiert die junge Frau eine Demonstration vor dem Sitz der Londoner Regierung. 2000 in Rot gekleidete Menschen finden sich dort zusammen, tragen Transparente und fordern lautstark ein Ende der „Periodenarmut“. Journalisten, Adelige, Politiker werden auf Amikas Anliegen aufmerksam und unterstützen es. Schließlich, nach drei Jahren, erreicht die junge Britin einen Erfolg, auf den sie stolz sein kann: Seit Anfang 2020 gibt es für Schülerinnen und Studentinnen in England Hygieneartikel für die Periode kostenlos. Amika wird für ihr Engagement mit einem Preis ausgezeichnet und das Magazin Time verleiht ihr einen Platz auf der Liste der 25 weltweit einflussreichsten Teenager.

Scham ablegen, ins Gespräch kommen

Doch auf den Lorbeeren will sich die junge Aktivistin nicht ausruhen. Stattdessen zielt die von ihr gegründete Organisation „Free Periods“ auf weitere Länder innerhalb und außerhalb Europas, um allen Mädchen Zugang zu Ausbildung zu ermöglichen, gerade dann, wenn sie ihre Tage haben. Um das zu erreichen, heißt es für Amika unter anderem, bei jeder Gelegenheit dafür zu werben, die Scham abzulegen und die Monatsblutung als eine der natürlichsten Sachen der Welt ins Gespräch zu bringen.

Autorin: Maria Sileny
aus: KDFB engagiert 12/20

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