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Bewusst entspannen

KDFB engagiert

02.03.2018

Damit Stress und Hektik nicht zum gesundheitsgefährdenden Dauerzustand werden, braucht der Mensch bewusste Erholungspausen. KDFB Engagiert zeigt, was hilft, sich wirklich zu entspannen.

Heuer hätte ich fast die ersten Schneeglöckchen verpasst. Gesehen habe ich sie zwar im Vorbeihasten – die vielen Bündelchen grüner Spitzen hinten im Garten, die mich immer besonders entzücken, wenn sie sich eine Lücke in den Schnee ringsum getaut haben. So zart und so voll Power! Und ein so wundervolles Versprechen, dass der Winter zu Ende geht und die Natur wieder erwacht!

Dass ich sie zwar gesehen, aber nicht wirklich wahrgenommen habe, das lag am üblichen Alltagsgetöse: zu voll der Kopf mit Aufgaben, Arbeit, Terminen, Plänen, Pflichten. Zuviel Hamsterrad. Zuviel Autopilot. Zu wenig Zeit und Muße, um nach links und rechts zu schauen. Oder nach innen. Stress eben. Jeder kennt das.

„Wer es eilig hat, muss langsam gehen” 

Und jeder kennt die Tipps: Sport, Musik hören, Spazieren gehen, Freunde treffen. Hobbys pflegen, Pausen machen. Vielleicht mal wieder ein Wellnesswochenende? Raum für Schönes lassen jedenfalls. Aber jeder weiß auch: Gerade die schönen, die beiläufig wohltuenden Termine sind die ersten, die wir aus dem Kalender streichen, wenn die Zeit zu knapp wird für die tausend Erledigungen und Pflichten. Eine fatale Entscheidung, denn: So entsteht nicht weniger, sondern noch mehr Stress. „Wer es eilig hat, muss langsam gehen”, sagt ein chinesisches Sprichwort, das dem Philosophen Konfuzius zugeschrieben wird.

Entspannungstechniken: Es gibt nicht die eine Methode, die für alle passt 

Doch selbst Schönes entspannt nicht unbedingt: Sport kann in Leistungsdruck umschlagen. Spaziergänge in noch so schöner Umgebung machen nicht unbedingt den Kopf frei. Für Wellnesswochenenden braucht es eine Menge Geld. Selbst Treffen mit Freunden können anstrengend sein. Und schon die Planung entspannter Zeiten kann neuen Stress verursachen, wenn sie nicht Lust, sondern gefühlte Pflichtübung ist.

Was also schafft wirklich Entspannung? Was löst den Stress? Was eröffnet uns innere Räume der Gelassenheit und sperrt Leistungsdruck, Reizüberflutungen und die Hektik des Alltags aus? Klar ist: Es gibt nicht die eine Methode, die für alle passt. 

Fest balle ich meine rechte Hand zur Faust. Sie wird starr, fast wie ein Fremdkörper, fast wie ein Stein. Meine Fingernägel graben sich in die Handfläche. Ich versuche, Gesicht und Arme trotz der Anspannung locker zu lassen, ruhig weiterzuatmen und meine Energie wirklich nur in die Faust zu lenken und dort zu halten. Bis nach ein paar Sekunden die Aufforderung kommt, die Muskeln wieder locker zu lassen und die Entspannung bewusst wahrzunehmen. Wie fühlt sie sich an? Wie der Unterschied zwischen Spannung und Entspannung? Zwischen der gebündelten Energie und ihrem Verwehen? Ich spüre, wie sich eine ungewohnte Schwerelosigkeit in meinen Fingern ausbreitet, eine angenehme, leicht ermattete Wärme. So als wären meine Finger einfach zufrieden mit sich selbst.

Die Übung in Progressiver Muskelentspannung geht weiter. Es ist ganz leicht, nur dazuliegen und zu befolgen, was in ruhigem Ton angeleitet wird: Ich spanne die Oberarme an und lasse wieder locker. Spüre der Anspannung nach und der warmen Welle, die sich beim Loslassen in den Muskelpartien ausbreitet. Nacheinander wandert die Übung langsam durch alle Körperpartien, Schultern und Nacken, Gesicht, Oberschenkel und Gesäß, bis hinunter zu den Waden. Am Ende ist eine gute halbe Stunde vergangen, und die warme Schwerelosigkeit durchzieht meinen ganzen Körper. Er fühlt sich weicher an als sonst, schmiegsamer, präsenter. Auch mein Kopf ist in dieser halben Stunde zur Ruhe gekommen – man kann nicht gleichzeitig denken und aufmerksam sein für die körperlichen Vorgänge und Empfindungen.

Wer psychisch angespannt ist, ist es auch körperlich

Progressive Muskelentspannung gehört zu den bekanntesten Verfahren, mit denen bewusst ein Zustand der Entspannung erreicht werden kann. Der Ge­danke dahinter: Wer psychisch angespannt ist, ist es auch körperlich. Und umgekehrt. Den Umstand, dass sich Körper und Geist gegenseitig beeinflussen, machen sich fast alle systematischen Entspannungsverfahren zunutze: Unseren Körper und seine Empfindungen aufmerksam wahrzunehmen, ist ein wichtiger Schritt zur inneren Ruhe. Umgekehrt reagiert der Körper sofort, wenn wir in Stress geraten.

Bei Reizen, die wir als bedrohlich bewerten – das ist die einfachste Definition von Stress – versetzt sich unser Körper in Alarmbereitschaft, um die Gefahr abzuwenden: Stresshormone – Cortisol, Adrenalin, Noradrenalin – werden ausgeschüttet. Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt, die Muskeln erhöhen ihre Spannung. Der Zuckerstoffwechsel kommt auf Touren, um viel Energie bereitzustellen. Das Immunsystem fährt hoch. Selbst die Bronchien erweitern sich, damit genug Sauerstoff eingeatmet werden kann und den Muskeln zur Verfügung steht. Andere Organe – Nieren, Darm, Blase – schalten herunter und werden minderdurchblutet – ihre Leistung ist jetzt unwichtig, das Blut wird woanders dringender benötigt. Die Stimmung ist erregt, energiegeladen, auf höherem Stresslevel auch aggressiv. Das Zusammenspiel der Körperfunktionen mobilisiert alle Reserven. Ein genialer Mechanismus, der unseren stammesgeschichtlichen Vorfahren das Überleben sicherte: Stellte er doch genügend Energie bereit, damit sie gegen angreifende Nachbarhorden kämpfen oder vor Raubtieren fliehen konnten. Wer entspannt am Feuer sitzen blieb, lebte nicht mehr lange.

Chronischer Stress ist giftig!

Auch wenn heute die Bedrohungen in unserem Teil der Welt meist anders aussehen, greift unser Körper auf die alten Strategien zurück. Und das ist gut so: Sie geben uns genug Energie, um aktiv Probleme zu lösen, uns durchzusetzen, wo das nötig ist, Krisen zu bewältigen. Stress und Aufregung ge­hören in jedes Leben und sind auch medizinisch unproblematisch, wenn genügend Zeit zur Regeneration bleibt.

Doch wenn sofort die nächste Bedrohung lauert, wird die Alarmbereitschaft zur Strapaze. Chronischer Stress, den Wissenschaftler sogar toxisch, also giftig, nennen, wirkt sich auf den Körper aus wie eine Abnutzungsreaktion: Was viel beansprucht wird, wird nicht lange halten, und so gefährdet Dauerstress die Gesundheit. Herzleiden, Bluthochdruck, Magenprobleme, Muskelverkrampfungen können sich zu schweren, so­gar lebensbedrohlichen Erkrankungen ausweiten. Diabetes und Arteriosklerose können sich unter dem hormonellen Dauerbeschuss herausbilden. Das Immunsystem leidet, der Kopf schmerzt, Schultern und Rücken ächzen unter der gefühlten Last. Selbst die Gehirnstrukturen verändern sich: Die Konzentrationsfähigkeit sinkt, das Gedächtnis wird schlechter. De­pressionen und Angsterkrankungen entstehen.

Alarmierend: Jeder Fünfte ist im Dauerstress

Die Risiken sind nicht hoch genug zu bewerten: Nach Einschätzungen der Weltgesundheitsorganisation stellt Stress die größte Gefahr für unsere Gesundheit dar. (Dauer-)Stress ist keine Bagatelle, und er nimmt in allen Lebensbereichen zu. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht über die Zunahme stressbedingter Erkrankungen berichtet wird. Fast zwei Drittel der Deutschen fühlen sich gestresst, jeder Fünfte erfährt sein Leben als Dauerstress. Die Arbeit steht auf Platz eins der Stressursachen, und selbst Schulkinder sind schon gestresst. Finanzielle Sorgen und vor allem die Pflege von Angehörigen belasten massiv, wie unzählige Studien zeigen.

Unser Körper braucht dringend Erholungsphasen, in de­nen er die Stresshormone abbauen kann, er braucht buchstäblich Zeit zum Durchschnaufen. Atmen ist die vielleicht grundlegendste Form der Entspannung.

Ein großer Raum ohne Möbel. Weicher Teppichboden. Das Licht ist mild, und es ist auf eine fast andächtige Weise still im Raum. Vor den Fenstern ist es schon dunkel an diesem kalten Winterabend – wie schön, es warm zu haben! Ich fühle mich geborgen, wie ich da so liege, ein Kissen unter dem Kopf und eine Wolldecke auf den Beinen. Manchmal höre ich ein Gähnen, einen tieferen Atemzug von einem der sechs oder sieben Menschen, die wie ich auf wärmenden Matten im Gruppenraum des Münchner Atemhauses liegen. Doch die Regungen der anderen ziehen an mir vorbei, sie lenken mich nicht ab, stören mich nicht. Ich bin bei mir, und ich fühle mich wohl. 

Ich räkle mich noch einmal, suche nach der bequemsten Position, wandere dazu mit meiner Aufmerksamkeit durch meinen Körper, wie es Barbara Schmidpeter, die Atemtherapeutin, die die Gruppe anleitet, anfangs empfohlen hat. Drückt es hier noch ein wenig, unter meiner rechten Schulter? Will sich mein linkes Bein noch mal strecken? Möchte ich die Decke noch ein wenig höher ziehen? Ich gebe jedem leisen Signal nach, bis ich liege wie in Abrahams Schoß. Und mein Körper fühlt sich an, als würde er von Kopf bis Fuß lächeln.

Heilsam: Mit dem Atem experimentieren

Wir alle atmen etwa 20.000 Mal am Tag, bewusst und unbewusst und meist hektischer und oberflächlicher als uns gut tut. Als ich auf der Matte im Münchner Atemhaus liege, erwarte ich daher, dass die Atemtherapeutin Vorschläge machen wird, mit dem Atem zu experimentieren – vielleicht tiefer zu atmen, langsamer auszuatmen, in den Bauch hinein. Doch die eineinhalb Stunden vergehen ohne direkten Fokus auf den Atem. Sie vergehen im Wohlgefühl ruhiger Aufmerksamkeit für die Veränderungen im Körpergefühl, ausgelöst durch die kleinen Bewegungen im Liegen, zu denen die Therapeutin uns anleitet: Das Anstellen eines Beines neben dem Oberschenkel und wie es heraufgleitet. Wie meine Fußsohle achtsamen Druck zum Boden hin ausübt, der mein Becken leicht anhebt. Die überkreuzten Arme über meiner Brust, als würde ich mich selbst umarmen. Am Ende der Stunde fühle ich mich gelöst wie lange nicht.

„Ich gebe keine Anleitung zum Atmen”, bestätigt Barbara Schmidpeter später. „Wir möchten mit der Atemarbeit Wege bahnen, wie der Atem frei schwingen kann. Und das könnte er nicht, wenn wir Vorgaben machen würden.“ Nicht um Richtig oder Falsch geht es, sondern darum wahrzunehmen, was da ist, was wir sonst in unserem hektischen Leben zur Seite schieben an Gefühlen, an Regungen, auch an Schmerzen. „In den Übungsangeboten in der Gruppe, aber auch in der Einzelbehandlung kann der Mensch sich in seiner aktuellen Situation erfahren”, sagt die Atemtherapeutin. Manchmal merkt eine Teilnehmerin erst im Räkeln, wie weh ihr ihr Körper tut. Manchmal schläft ein Teilnehmer ein und bemerkt vielleicht erst dadurch, wie tief erschöpft er dauernd ist. Manchmal fließen Tränen, steigen im Moment der Entspannung überraschend starke Gefühle auf, Kummer, Trauer, Sehnsucht. Hinweise darauf, was das Leben belastet. Und was wir sonst so schnell und bereitwillig wegschieben, weil es schmerzt. 

„Das Tun ist uns viel vertrauter als das Geschehenlassen“

Machen, tun, handeln, immerzu aktiv sein – das ist der Rhythmus der heutigen Gesellschaft. „Das Tun ist uns viel vertrauter als das Geschehenlassen“, sagt die Münchner Atemtherapeutin. Atemarbeit dagegen will geschehen lassen, will mit wacher Aufmerksamkeit wahrnehmen, was da ist. Der Atem kann dabei helfen, zu sich zu kommen, weil er uns mit uns selbst verbindet: „Der Atem ist das schwingende Band zwischen Körper, Geist und Seele“, schrieb der Münchner Religionsphilosoph Romano Guardini. „Atemarbeit schafft den Raum, in dem ich sein darf“, sagt Barbara Schmidpeter. „Und das bewirkt, dass der Atem wieder freier fließen kann.“

Die zentrale Bedeutung des Atems

Welch zentrale Bedeutung der Atem hat, ist seit jeher be­kannt. Das griechische Wort „Pneuma” bezeichnet neben dem Atem auch den Hauch oder den Geist. Das Wort „ruach“ im Alten Testament meint sowohl den Heiligen Geist als auch den Atem Gottes – seine Gegenwart im Menschen. In den asiatischen Philosophien, Meditationsformen und auch den Kampfkünsten dient der Atem häufig als Brücke, um das Bewusstsein und Energieströme zu lenken, etwa im Qi Gong und im Tai Chi. Auch im Yoga wird der Atem als Mittler zwischen Körper und Geist verstanden. Spezielle Atemübungen sind oft Ausklang und Abschluss einer Yogastunde, wenn durch die vorangegangenen Übungen der Kopf klar und ruhig geworden ist.

Shitali. Schon der Name der Atemübung klingt leicht und melodiös. Shitali erfrischt. Leicht zischend ziehe ich die Luft durch meine gerollte Zunge in mich hinein, während ich die Schultern zurück nehme und den Kopf beim Einatmen leicht in den Nacken lege. Beim Ausatmen durch die Nase richtet sich mein Kopf wieder auf. Es fühlt sich an, als würde der kühle Atem meinen ganzen Körper durchströmen.

 „Yoga verleiht Stabilität im Körper, Ruhe im Geist, Offenheit im Herzen“

Birgit Meißner unterrichtet in München Yoga. Sie sagt: „Yoga bedeutet, dass man zu sich kommt. Heutzutage fällt uns das sehr schwer, wir sind in unserem Alltag so vielen Einflüssen von außen ausgesetzt, mehr denn je zuvor. Wenn ich aber von außen geleitet bin, bin ich wie fremdgesteuert.“ Yoga bezweckt das Gegenteil: Bei sich sein. Den Körper spüren, die Aufmerksamkeit in all seine Bereiche, all seine Zellen zu lenken, das Bewusstsein in ihm ausbreiten, die Energie wieder fließen zu lassen. Den Geist dadurch zur Ruhe zu bringen. „Yoga verleiht Stabilität im Körper, Ruhe im Geist, Offenheit im Herzen. Das sollen die Übungen erreichen“, sagt Birgit Meißner. Darum, sich zu dehnen oder gelenkiger zu werden, geht es im Grunde nur nebenbei. Und es geht nicht darum, besser zu sein als die Übende auf der Nachbarmatte. „Yoga ist ein Gegengift gegen den Leistungsanspruch im Alltag, dem wir alle ausgesetzt sind und den wir uns selbst oft genug antun“, sagt Meißner. „Yoga ist wie ein innerer Kosmos, in dem wir uns auf das Gegenteil konzentrieren: Wir spüren in uns hinein, wir akzeptieren uns und unsere Grenzen und können sie gerade deshalb langsam erweitern. Wir erfahren uns, wie wir sind. Das eröffnet neue Horizonte.“

Die Arme weit über den Kopf gestreckt, die linke Fußsohle gegen den rechten Oberschenkel gestellt, stehe ich aufgerichtet nur auf einem Bein. Mein Blick ruht auf einem gedachten Punkt weit vor mir. Lange schaffe ich es nicht, die Balance zu halten. Aber in den Sekunden, in denen es gelingt, ist die Übung, die im Yoga „Baum“ heißt, viel mehr als nur ein Training fürs Gleichgewicht. So aufgerichtet mein Körper ist, so ausgerichtet und gesammelt fühlt sich mein Geist an. Ich ruhe in mir, in innerer Balance.

„Eine Seele ohne Körper gleicht einem Vogel, der nicht mehr fliegen kann“

Es gibt unzählige Yoga-Arten. Birgit Meißner unterrichtet Iyengar-Yoga, das als Yoga für alle gilt, auch für Menschen, die durch eine Behinderung körperlich beeinträchtigt sind oder im Alter steifer und unbeweglicher wurden. Hilfsmittel wie Gurte oder Polster ermöglichen und erleichtern auch ih­nen die Praxis. Entwickelt wurde die Yoga-Richtung von einem der international bekanntesten indischen Lehrer: B.K.S. Iyengar (1918–2014), der die althergebrachten Yoga-Stellungen präzisierte und zu dessen Schülern auch der Schriftsteller Aldous Huxley, die belgische Königin Elisabeth und der Geigenvirtuose und Dirigent Yehudi Menuhin gehörten. „Der Yogi macht seinen Körper zu einem geeigneten Gefäß für den Geist. Denn er weiß, dass der Geist seiner bedarf“, so Iyengar. „Eine Seele ohne Körper gleicht einem Vogel, der nicht mehr fliegen kann.“

Autorin: Susanne Zehetbauer
aus: KDFB Engagiert – Die Christliche Frau 3/2018

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