In deutschen Verlagen erscheinen immer mehr Bücher über Tiere, Pflanzen und Landschaften. Sie rücken die Schönheit und Verletzlichkeit der Schöpfung in den Vordergrund.
Haben Sie es auch schon entdeckt? Bücher, die sich nur mit einer einzelnen Pflanze, einem Tier oder einer Landschaft beschäftigen, breiten sich aus. Und die Titel stehen nicht nur in der Abteilung für Naturkunde. Der Trend zum sogenannten „Nature Writing“ – dem Schreiben über die Natur – lässt sich in der Lyrik ebenso ausmachen wie bei Romanen.
Das Phänomen kommt aus England und Amerika und hat in Deutschland noch keine feste Bezeichnung erhalten. „Ich denke, der Begriff bezieht sich auf Werke, die nicht notwendigerweise Menschen als Nabel der Welt sehen, und das scheint mir immer wichtiger“, versucht Helen Macdonald ihr Metier zu beschreiben. „Es gibt ein Zeugnis davon, was wir verloren haben. Ein Gefühl von Traurigkeit und Verlust zieht sich durch alle Arten von Nature Writing, die heutzutage in Großbritannien geschrieben werden.“ Helen Macdonald spricht auf einer Diskussionsveranstaltung im Münchner Literaturhaus. Dort werden in diesem Sommer zahlreiche Veranstaltungen rund um die Ausstellung „Natur in der Literatur. Ins Blaue!“ angeboten.
Eine Wildheit des Kummers
Die Autorin ist in Deutschland dank des Erfolgs ihres Buches „H wie Habicht“ bekannt. Darin schildert sie, wie sie nach dem Tod ihres Vaters einen Habicht zähmt. „Es gibt eine Art Wildheit des Kummers, ich war wirklich am Boden zerstört, als mein Vater starb, und wollte mich in der Zähmung eines Habichts verlieren.“ Eine Leidenschaft für Vögel hat sie bereits als Kind entwickelt. Statt Popstars hingen in ihrem Zimmer Bilder von Turmfalken. Bei der Zähmung ihres Habichts Mabel kommt sie dem Vogel immer näher, bis sich die Grenzen zwischen Mensch und Tier aufzulösen scheinen. „Ich wollte nicht mehr ich sein. Ich war verwaist, ich trauerte. Ich wollte diese Trauer nicht spüren, und der Habicht wurde ein seltsames anderes Ich. Ich floh mit ihr in diese Welt eines ewigen Jetzt.“
Helen Macdonald wird weiter über Natur und große menschliche Fragen schreiben, demnächst über Schuld und Scham. Sie plant einen Aufenthalt auf einer Pazifikinsel, die von Albatrossen bevölkert ist. Die Vögel füttern ihre Jungen liebevoll – zu Tode, mit Plastikmüll.
Eine wichtige Rolle beim Boom von „Nature Writing“ spielt die Buchreihe „Naturkunden“ die Judith Schalansky im Verlag Matthes & Seitz herausgibt. Dort erscheinen neben Übersetzungen englischer Autoren vorwiegend Bücher deutscher Herkunft. Die Philosophin und Schriftstellerin Eva Meijer schreibt zum Beispiel über die Sprachen der Tiere. Daneben gibt es Bücher von Biologen, Kräuterexperten und Jägern. Sie nähern sich Pflanzen und Tieren aus biologischer und kunstgeschichtlicher Perspektive behutsam an und widmen sich Wölfen, Nelken, Eseln oder Brennnesseln. In Kürze erscheint der 50. Band der Reihe.
Mit einem neuen Preis für Naturschriftstellerei fördert der Ver-lag Autoren und Autorinnen. Marion Poschmann erhielt ihn in diesem Jahr als Erste. In ihrer Dankesrede betonte sie: „Natur ist unglaublich, sie ist ein Wunder. Etwas wächst, entwickelt sich, ohne dass es im menschlichen Sinne gemacht ist. Eigentlich müsste das ein beständiger Schock sein, aber wir haben uns dran gewöhnt und nehmen das gleichgültig hin.“
Autorin: Anne Granda
aus KDFB Engagiert 8+9/2018