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„Ich bin meiner Religionslehrerin bis heute dankbar“

Elfriede Schießleder, KDFB-Vizepräsidentin und Bayerische Landesvorsitzende Foto: privat

02.05.2018

Elfriede Schießleder, KDFB-Vizepräsidentin und bayerische Landesvorsitzende, erinnert sich dankbar an ihren eigenen Religionsunterricht. Die promovierte Theologin ist seit 1982 selbst an verschiedenen Grund-, Haupt- und Mittelschulen sowie am Gymnasium als Religionslehrerin tätig. Seit 2011 unterrichtet sie an der staatlichen Berufsschule Altötting.

KDFB Engagiert: Haben Sie etwas aus Ihrem eigenen Religionsunterricht in Erinnerung, was für Sie wichtig geworden ist?

Elfriede Schießleder: Da erinnere ich mich vor allem an eine junge Lehrerin in der Kollegstufe, also in den 70er-Jahren. Sie hat uns anhand kritischer Schriften gelehrt, gegen unsere bisherige, eher kindliche Religiosität zu denken. Mich an den Gedanken von Karl Marx oder Ludwig Feuerbach zu Glaube, Kirche und Religion mit Argumenten abzuarbeiten, das hat mich persönlich sehr in meinem Glauben gestärkt, und ich bin dieser Lehrerin bis heute dankbar.

KDFB Engagiert: Machen Sie als Religionslehrerin beglückende Erfahrungen im Unterricht? 

Elfriede Schießleder: Oh ja, sehr oft! In der Grundschule habe ich mich über den tiefen Kinderglauben gefreut, der so anrührend und herzlich ist, dass er einen Erwachsenen immer wieder tief berührt. Die Weisheit der Kleinen ist etwas ganz Besonderes, Wertvolles. Und jetzt an der Berufsschule erlebe ich viel Suchen und Fragen – ähnlich wie ich es selber erfahren habe. Wie ist ein Gott zu denken, der unserem wissenschaftlichen Denken entspricht? Er ist kein Lückenbüßer für Unerforschtes, kein Notnagel, wenn sonst nichts mehr hilft, kein Zauberer oder Übervater. Eher der berühmte Punkt Omega, auf den die Welt und das Leben jedes einzelnen Menschen zielgerichtet zuläuft. Wenn der eine oder andere Schritt dieser Sinnsuche mit meinen jungen Erwachsenen gelingt, ist das wie ein Ostermorgen für mich. 

Etwa der volltätowierte und gepiercte junge Mann, dessen Mädchen das gemeinsame Kind abgetrieben hatte, ohne ihn einzubeziehen – im Aussprechen seiner Not durch den Religionsunterricht fand er auch den nächsten Schritt seines Weges: mit einer neuen Freundin empfindsamer, zärtlicher umzugehen. Das Leben ist es wert! So eine Erfahrung ist unendlich beglückend. Dahinter steht (m)ein vergebender und liebender Gott, auch ohne direkt angesprochen zu sein. Gott zwingt nicht – doch unser Auftrag ist, den langen Atem seiner Geduld zu zeigen. Dann liegt die Mühsal bei uns Lehrern. Und wenn es mal sehr mühsam ist, sag ich das in einer Klasse auch laut – das befreiende Lachen aller gibt mir dann auch hier Recht.

KDFB Engagiert: Welche Entwicklung sehen Sie als größte Gefahr für die Zukunft des Religionsunterrichts? 

Elfriede Schießleder: Hochbrisant wäre, wenn sich die Kirchen noch weiter aus den Schulen zurückziehen und damit dem Wunsch nach Entlastung der Lehrpläne zuspielen. Es geht klar um Unterricht, um Bildung, um Persönlichkeit, Verantwortung und Transzendenz. Natürlich meine ich, dass dafür genau die besten Theologen in die Schulen müssten. Hier vertraut man uns quasi die Kinder der ganzen Bevölkerung an, nicht nur die der Frommen und liturgisch Hochmusikalischen.

Die bayerische Verfassung garantiert den Zugang zu allen getauften Schülern – welche Chance! Und noch viel mehr: Im konfessionell-kooperativen Religionsunterricht laden wir alle Schüler ein, sich gegenseitig im Glauben kennenzulernen. Solchermaßen gelebte Ökumene ist ein großer Schatz und wirkt jeder Art von Fundamentalismus entgegen. Wissen ist Macht – und nichts wissen macht manipulierbar! Das erleben wir gerade sehr schmerzhaft in der laufenden Debatte um den Islam in seinen verschiedenen Ausformungen. Mich dauern oft unsere muslimischen Schüler, die so herzlich wenig von ihrer Religion wissen. Weil der Imam türkisch predigt, was sie nicht verstehen.Weil das Elternhaus keine begründbaren Riten lebt und die Heranwachsenden doch in Ehrfurcht vor der Tradition ihres Glaubens sprachfähig sein wollen. Hier wäre ein Fach Religionskunde flächendeckend für alle Schüler für die ganze Gesellschaft hilfreich. 

Der noch unlängst amtierende bayerische Kultusminister Ludwig Spänle meinte vor Kurzem, staatlich geprüfte Islamlehrer wären genug da – worauf also warten wir? Schule muss mehr als wirtschaftlich verwertbares Wissen vermitteln. Religionsunterricht ist für den Zusammenhalt einer Gesellschaft unverzichtbar. Da mag Frankreich ein mahnendes Beispiel sein.

Interview: Anne Granda
aus: KDFB Engagiert 5/2018 (dort in Kurzform abgedruckt)

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