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Mitten im Leben!

KDFB engagiert 8+9/2019

25.07.2019

Die Haare werden grau, und an den unmöglichsten Stellen zeigen sich Falten. Älterwerden ist für Frauen härter als für Männer und zwingt sie, ihr Selbstbild radikal neu zu entwerfen. Dass es dabei knirscht, in der Familie wie im Job, gehört dazu. Die gute Nachricht ist: Langfristig wird es besser als gedacht!

Kann es wirklich sein, dass sich diese Querfalte, nein, diese Furche auf der Stirn nicht mehr glättet? Auch nicht mit allerhand Grimassen vor dem Spiegel, mit sündteurer Gesichtscreme und ausreichend Schönheitsschlaf? Kann sich die Haut am Dekolleté wirklich kräuseln, wenn man sie zusammenschiebt? Können Oberschenkel Runzeln kriegen? Und überhaupt: Huch, bin ich das? 

Meine Freundin Andrea ist 55, groß, schlank und sehr elegant. Vor zwei Jahren hat sie aufgehört, ihre Haare zu tönen. Keine Lust mehr, alle drei Wochen die Ansätze nachzufärben und doch nach wenigen Tagen schon wieder das Weiß hervorspitzen zu sehen. Schluss damit. Inzwischen trägt sie einen kurzen, lockigen, fast schlohweißen Bob und sieht so fantastisch aus wie die Fernsehmoderatorin Birgit Schrowange. Die ließ sich mit Ende 50 die dunkelbraune Mähne raspelkurz abschneiden und trug ein Jahr lang vor der Kamera eine Perücke, während die Haare nachwuchsen. Und zwar zu einem schicken Statement in Naturgrau: „Ich finde diesen ganzen Jugendwahn schrecklich. Graue Haare machen Frauen älter – dieses Märchen haben Männer in die Welt getragen“, sagte sie dem Magazin Stern. Aber ganz klar: Ihre neue Frisur, in den Medien wochenlang rauf und runter diskutiert, veränderte ihren Typ enorm.

Welche Pläne warten noch?

Spätestens ab 50 ist klar: Ich bin nicht mehr die, die ich war. Spätestens jetzt lassen sich die körperlichen Zeichen des Älterwerdens nicht mehr wegdiskutieren. Das Gewebe wird schlaffer, die Lesebrille gehört nun neben dem Hausschlüssel und dem Geldbeutel zur Grundausstattung der Handtasche. Spätestens jetzt kündigt sich auch die Menopause an. Die Muskeln bauen ab, das beginnt zwar schon um das 25. Lebensjahr herum, aber jetzt wird es deutlich spürbar, wenn man nicht mit regelmäßigem Training dagegenhält.

Wo man früher mit Freunden beim Abendessen über die pubertierenden Kinder seufzte und lachte, drehen sich Gespräche jetzt oft um alte Eltern, die Hilfe brauchen. Früher, da ging es um Karriere, Pläne und ehrgeizige Projekte – heute um die Erkenntnis, im Job zu den Älteren zu gehören, und um die bange Frage, ob man durchhält bis zur Rente. Und was man dann tun möchte, wenn endlich Zeit dafür ist: eine Radtour rund um Europa? Oder eine Weltreise? Noch ein Studium oder eine Ausbildung vielleicht? Ein aufwendiges Ehrenamt, ein Auslandsaufenthalt? Etwas ganz anderes jedenfalls, solange noch Zeit bleibt – denn auch sie verrinnt unerbittlich. Das weiß man zwar auch mit 35, aber jetzt wird es konkret: Im Briefkasten liegen neuerdings Einladungen zu Früherkennungsuntersuchungen, und nicht immer sitzen noch alle Freunde mit am Tisch. Jeder kennt einen, den es viel zu früh erwischt hat. Herzinfarkt. Krebs. Aus. Vergänglichkeit, auch die eigene. Die verbleibende Zeit wird unübersehbar kürzer. Und scheint sich von Jahr zu Jahr zu beschleunigen. Wie? Schon wieder Sommer? War nicht grade erst Weihnachten?

Die Lebenszufriedenheit beginnt ab 50 zu steigen

Die neuen Blickwinkel werfen neue Fragen auf, die ziemlich radikal nach Antworten verlangen. Der amerikanische Erziehungswissenschaftler und Soziologe Robert J. Havighurst beschrieb schon Ende der 40er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, welche Themen und Entwicklungen im mittleren Erwachsenenalter anstehen. Darunter: 

  • körperliche Veränderungen zu akzeptieren und sich daran anpassen,
  • befriedigende Leistungen im Beruf aufrechtzuerhalten,
  • die Beziehung zum Ehepartner als einem eigenständigen Menschen weiterzuentwickeln,
  • Verantwortlichkeit im sozialen und gesellschaftlichen Bereich zu übernehmen,
  • Freizeitinteressen und Hobbys zu pflegen.

Wie glücklich Menschen in dieser Lebensphase sind, hängt davon ab, so Havighurst, wie gut sie die anstehenden Veränderungen bewältigen. Offenbar gelingt das den meisten ganz gut, denn die Lebenszufriedenheit beginnt ab 50 wieder zu steigen, nachdem sie – statistisch gesehen – etwa seit dem 25. Lebensjahr kontinuierlich gesunken ist. Das haben Wissenschaftler in mehr als 80 Ländern herausgefunden – über alle Schichten hinweg, völlig unabhängig von Bildung, ausgeübtem Job oder davon, ob Kinder zur Familie gehören  oder nicht.

Man lernt, sich zu arrangieren mit dem Leben

Eine Erklärung dafür: Junge Erwachsene haben hohe Erwartungen und Träume, sie starten mit großem Optimismus ins Leben und glauben, alles sei möglich. Das ist auch gut so: Gibt es den jungen Leuten doch die Energie, ihr Leben voranzutreiben. Bloß: Träume und hochfliegende Pläne erfüllen sich nicht unbedingt. Kritisch für diese Erkenntnis ist vor allem das Alter zwischen 40 und 50, wenn klar wird, welche Träume endgültig nicht mehr zu erfüllen sind.

Zu optimistische Erwartungen nach unten zu korrigieren, ist aber ein schmerzhafter Prozess – und er dauert. Statistisch gesehen sinkt die Zufriedenheit bis etwa zum 50. Lebensjahr. Wenn aber unrealistische Träume verabschiedet und betrauert sind, dann geht es wieder bergauf: Man findet sich ab. Man arrangiert sich damit, dass im Leben eben nicht alles klappt. Auch über verpasste Chancen regt man sich irgendwann nicht mehr auf: Es ist halt, wie es ist. Die neue Gelassenheit lässt sich sogar an der Hirnaktivität messen: Studien haben gezeigt, dass das alternde Gehirn nicht mehr so intensiv auf Enttäuschungen reagiert.

Autorin: Susanne Zehetbauer
aus: KDFB engagiert 8+9/2019

Der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) ist ein unabhängiger Frauenverband mit bundesweit 145.000 Mitgliedern. Seit der Gründung 1903 setzt er sich für Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen in Kirche, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft ein.
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