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Was will das Volk?

27.04.2018

In unserem Land jagt eine Aufregung die nächste. Moralisierende Anklagen, wütende Urteile, populistisches Getöse befeuern die öffentliche Auseinandersetzung. Politik und Forschung haben Mühe zu erfassen, was die Wutbürger antreibt. Gedanken zum Grundrecht der Meinungsfreiheit. 

Wer über Meinungsfreiheit nachsinnt, kommt an diesem Satz nicht vorbei: „Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde Ihr Recht, es zu sagen, bis zum Tode verteidigen.“ Dieser wuchtige Satz, dessen Bedeutung man auf sich wirken lassen muss, wird oft fälschlich dem französischen Philosophen und Vordenker der Aufklärung, Voltaire, zugeschrieben. Tatsächlich stammt er aber von einer Frau: der englischen Schriftstellerin und Voltaire-Biografin Evelyn Beatrice Hall (1868–1956). Der Satz, tausendfach zitiert, ist die Essenz der Meinungsfreiheit. Besser kann man nicht ausdrücken, was damit gemeint ist.

Meinungsfreiheit: ein Menschenrecht, garantiert in der Verfassung 

Meinungsfreiheit. Das Recht, seine Meinung zu äußern und zu verbreiten, kann gar nicht hoch genug bewertet werden: ein Menschenrecht, in allen demokratischen Verfassungen verankert. „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten“, so steht es in Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes. Und das Bundesverfassungsgericht unterstrich bereits 1958: „Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend.“ Meinungsfreiheit ist die Grundlage jeder Demokratie, ihr unverzichtbares Fundament: Nur wenn Menschen ihre Meinung frei äußern und darüber streiten dürfen, können sie einen politischen Willen bilden und ihre demokratischen Rechte ausüben. Nach der Idealvorstellung jedenfalls. 

Wo verläuft die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge?

Meinungsbildung geschieht überall: an Stammtischen und in den sozialen Medien ebenso wie in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und im Bundestag. Meinungsfreiheit steht aber auch immer in Spannungsfeldern. Ging es dabei früher vor allem um staatliche Zensur oder um die Medienmacht einiger weniger Verleger, drehen sich die heutigen Diskussionen um unschärfere Fragestellungen wie:  

  • Wo verläuft die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge?
  • Wo zwischen Meinung und Verleumdung, zwischen Aufklärung und Pranger? 
  • Wo ist die Vielfalt in Gefahr, weil die inneren Logiken der Internetgesellschaft dazu führen, dass immer stärker skandalisiert, emotionalisiert, personalisiert wird, statt in Ruhe und Sachlichkeit zu diskutieren? 
  • Wo wird die Meinungsbildung eingeschränkt, weil Reizthemen wie Flüchtlinge oder Gleichstellung andere wichtige Themen von der politischen Agenda verdrängen? 
  • Wo gerät die gesellschaftliche Auseinandersetzung in eine Schieflage, wenn Toleranz für andere Menschen und Meinungen in Intoleranz umschlägt? Wenn Kritik an der Flüchtlingspolitik gleichgesetzt wird mit Rassismus und Rechtsradikalismus? Wenn Hinweise auf Diskriminierungen etwa von Frauen gleichgesetzt werden mit dem angeblichen Ziel der sogenannten „Genderisten“, die traditionelle Familie abzuschaffen? 

Einige dieser Fragen werden in der Gesellschaft noch nicht oder erst zögernd diskutiert, und befriedigende Antworten sind längst nicht gefunden. Sicher ist nur: Wenn Meinungsfreiheit sich immer stärker in Schuldzuweisungen und Feindseligkeit der verschiedenen Lager äußert, dann schwindet die Fähigkeit zum Kompromiss, von dem jede Demokratie langfristig lebt. Eine Gesellschaft muss vor allem eines: im Gespräch bleiben. 

Demokratie? Oder Populismus?

Ein Schlagwort fehlt heute in keiner politischen Diskussion: Populismus. US-Präsident Donald Trump gilt als Populist, Ös?terreichs Kanzler Sebastian Kurz auch. Ungarns Präsident Viktor Orbán und der starke Mann der Türkei Recep Tayyip Erdogan sowieso. Ebenso Alexis Tsipras, der griechische Ministerpräsident, allerdings in der linkspopulistischen Variante. In allen europäischen Ländern haben sich Parteien und Protestbewegungen formiert, die als populistisch gelten, darunter der französische Front National, die Lega Nord in Italien, die AfD in Deutschland. Ihre Positionen: Anti-Europa, Anti-Einwanderung, Anti-Islam. Law and Order. Wer eine Aussage als „populistisch“ bezeichnet, meint damit: rechts, plump, vereinfachend, primitiv. Unappetitlich. Mit dem Etikett „populistisch“ ist scheinbar alles gesagt. Weiter muss man sich nicht damit abgeben. Oder doch? 

Berlusconi: Zwei Italien stehen sich gegenüber

Als sich der italienische Unternehmer Silvio Berlusconi in den Neunzigerjahren auf den Weg in die Politik machte, sagte er einen bemerkenswert plakativen Satz: Zwei Italien stünden sich gegenüber, „das Italien, das arbeitet, gegen das Italien, das nur schwatzt. Das Italien, das produziert, gegen das Italien, das vergeudet und verschwendet. Das Italien, das spart, gegen das Italien, das raubt. Das Italien des Volkes gegen das der alten Parteien.“ Was er sagte, traf einen Nerv.

„Wir hier unten – die da oben“

Einen Gegensatz zwischen dem Volk und den Mächtigen, den Eliten, zu konstruieren, ist ein herausragendes Merkmal populistischen Auftretens. Doch was ist daran falsch? Ist nicht tatsächlich das Volk der Souverän, geht nicht in einer Demokratie alle Staatsgewalt vom Volke aus? Heißt nicht „populus“ im Lateinischen ebenso Volk wie „demos“ im Griechischen? Tatsächlich ist das nicht leicht zu trennen: „Populismus ist der hässliche Bruder der Demokratie“, sagt der Dresdener Professor für Politikwissenschaft Werner Patzelt. Er erklärt: „Es gehört selbstverständlich zur Demokratie, dass der Mehrheitswille in Politik umgesetzt wird. Aber es ist populistisch vorzugeben, dass es den ,wahren Willen des Volkes‘ gäbe, den bestimmte politische Anführer besser zu kennen behaupten als das Volk selbst.“

„Das Volk“ ist keine homogene Einheit

„Wir sind das Volk“, skandieren heute die Demonstranten von Pegida, schreien aber auch rechtsextreme Straftäter bei fremdenfeindlichen Aktionen. Doch diese Parole übersieht ein grundlegendes Merkmal der Demokratie: „Das Volk“ als solches gibt es nicht, es gibt verschiedene Interessen und gesellschaftliche Kräfte, die in einem demokratischen Prozess zusammengeführt werden müssen: Eine Rentnerin hat andere Interessen als eine junge Familie, eine Frau nach der Familienphase andere als eine Unternehmerin. Wer auf dem Land lebt und monatelang auf einen Facharzttermin wartet, hat andere Probleme als ein Großstadtbewohner, der aber nicht mehr weiß, wie er die explodierenden Mieten stemmen soll. „Das Volk“ ist keine homogene Einheit, und moderne Gesellschaften lassen sich nicht über einen Kamm scheren.

Die Gefahr, die vom Populismus ausgeht

Allerdings: „Ein bestimmtes Maß an Populismus gehört insbesondere in Wahlkampfzeiten zur Weise, wie man Demokratie betreibt, vereinfachend, zuspitzend, um Unterschiede in Konzepten deutlich zu machen“, sagt Politikwissenschaftler Werner Patzelt. „Aber ein Übermaß an Populismus wirkt wie so manches Medikament: Überdosiert eingenommen, lindert es nicht Leiden, sondern schädigt die Gesundheit.“ 

Das ist die Gefahr, die vom Populismus ausgeht. Die Geschichte zeigt, dass demagogische Anführer häufig durch ihre Hetze auf die etablierte Politik und unter Bezug auf den angeblichen Volkswillen an die Macht kamen und politische Systeme demontierten. Patzelt: „Das war der Aufstieg von Napoleon Bonaparte zum Kaisertum im 19. Jahrhundert. Das ist die Weise, wie viele populistische Anführer in Südamerika Diktaturen entwickelt haben.“ Doch Populisten sind nicht nur eine Bedrohung für die Demokratie. Ihr Widerhall in Teilen der Bevölkerung weist auch darauf hin, dass Lebenswirklichkeiten und Probleme von der etablierten Politik vernachlässigt und ignoriert wurden. Werner Patzelt sagt: „Das Entstehen von Populismus zeigt, dass es Repräsentationslücken gibt.“ 

In dieser Hinsicht können Populisten nicht nur eine Bedrohung für die Demokratie sein, sondern sie auch beleben. Sie können, klugen Umgang mit den Protestbewegungen vorausgesetzt, die Politik aufrütteln, damit sie anstehende Probleme nicht aussitzt, sondern anpackt. 

Fakten? Oder Wahrnehmung?

Komplex und vielschichtig sind die Problemlagen – und unterschiedlich die Lebensentwürfe und Bedürfnisse in einer modernen Gesellschaft. Simple Antworten werden schwierigen Fragestellungen nicht gerecht, auch wenn populistisch auftretende Gruppierungen so tun: „Aus populistischer Sicht ist der ,gesunde Menschenverstand‘ dem Reflexionswissen von Intellektuellen nicht nur ebenbürtig, sondern überlegen, weil er auf konkreter lebensweltlicher Erfahrung beruht und daher noch einen unverfälschten ,gesunden‘ Zugang zu Recht und Wahrheit hat“, schreibt die Populismusforscherin Karin Priester. 

Wie vertrauenswürdig ist der gesunde Menschenverstand wirklich?

Es gibt eine verblüffende Animation: Die graziöse Silhouette einer Tänzerin, die fortwährend Pirouetten dreht. Die zweidimensionale Animation ist schwarz- weiß, nur der Körper der Ballerina ist vor grauem Hintergrund zu sehen. Nicht aufregend? Doch! Denn nicht jeder Betrachter sieht die Pirouetten gleich: Für den einen kreist die Tänzerin im Uhrzeigersinn, für den anderen entgegen. Und wer lang genug hinschaut oder schnell blinzelt, dem gelingt es vielleicht, ihre Drehrichtung zu ändern. Selbstverständlich nur in seiner subjektiven Wahrnehmung – die Animation bleibt immer gleich.

Die Tänzerin ist eine sogenannte Kippfigur, eine Abbildung, die zu spontanen Wechseln in der Wahrnehmung führen kann. Wie bei dem Bild rechts auf dieser Seite, auf dem manche eine Greisin, manche eine junge Frau erkennen. Warum sich die Wahrnehmungen von Mensch zu Mensch nicht nur unterscheiden, sondern sogar kippen können, ist nicht genau geklärt. Offenbar, so nimmt man an, macht sich unser Gehirn bei der Interpretation selbstständig: Weil die Bilder nicht eindeutig sind, fügt es Informationen hinzu, statt nur zu beobachten. Das zeigten Untersuchungen, bei denen die Hirnaktivität von Menschen gemessen wurde, während sie Kippbilder betrachteten: Dabei wurden nicht nur die Hirnbereiche fürs Sehen aktiviert, sondern weitere Areale, die für komplexeres Denken zuständig sind. 

Unsere Wahrnehmung ist fehleranfällig

Was uns subjektiv als wahr erscheint, muss es objektiv nicht sein. Auch Vorurteile und Stereotypen haben ihre Ursachen in diesem Arbeitsverhalten unseres Gehirns. Wir sehen einen Menschen oder eine Sache – und interpretieren bereits, noch bevor wir gründlich nachgedacht oder beobachtet haben. So kommen geistige Kurzschlüsse zustande, die jeder – Hand aufs Herz! – kennt: Gutaussehende Mitarbeiter sind leistungsfähiger als hässliche. Mädchen verstehen nichts von Mathe. Katholikinnen sind bieder, brav und konservativ. Ostdeutsche neigen zum Rassismus. Schublade auf, Schublade zu. 

Das Gehirn trifft 20.000 Entscheidungen am Tag

Wer in solchen Stereotypen denkt, muss ziemlich einfach gestrickt sein, oder? Nein. Jeder von uns tut das. Unser Gehirn bildet ständig Kategorien, um die komplexe Welt um uns zu ordnen und verständlicher zu machen. Wir bilden Schubladen für alles: Vögel, Junggesellen, Computer, Ostdeutsche, Flüchtlinge, Politiker, Haustiere, italienisches Essen, Filmstars, Männer mit Bart. Diese Kategorien erlauben uns nicht nur, unsere Erfahrungen zu sortieren, sondern auch schnell zu reagieren: Bis zu 20.000 Entscheidungen trifft jeder Mensch an jedem Tag. Jeden Reiz für sich zu betrachten würde nicht nur viel zu lange dauern, sondern wäre, im Straßenverkehr zum Beispiel, sogar gefährlich. Lieber auf die Bremse steigen, wenn ein Ball vors Auto rollt, als erst zu prüfen, ob überhaupt ein Kind in der Nähe ist. Lieber beim Wandern einer Schlange ausweichen, obwohl sie – vielleicht! – nur eine ungefährliche Ringelnatter ist, als mit dem Giftzahn einer Kreuzotter Bekanntschaft zu machen. Man weiß, dass selbst Tiere in Kategorien denken, nicht nur Menschenaffen, sondern auch Krähen oder Pferde. 

Die Psychologie weiß, dass es von vielen Faktoren abhängt, was wir wahrnehmen, von unserem Vorwissen etwa und von den Gefühlen, die wir mit einem Thema verbinden. Unser Umfeld und der Wunsch nach Zugehörigkeit spielen ebenso eine Rolle. Skepsis ist also angesagt – die Bereitschaft, sich selbst in Frage zu stellen, statt mit Wut und Empörung auf die Wahrnehmungen anderer zu reagieren. 

Vernunft? Oder Wut?

Wutbürger – der Begriff fiel zuerst im Jahr 2010, um die Proteste gegen das Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ zu beschreiben, und wurde zum Wort des Jahres. Der Spiegel-Journalist Dirk Kurbjuweit bezeichnete damit „eine neue Gestalt in der deutschen Gesellschaft“, die „sich wichtigmacht“. Der Wutbürger, so Kurbjuweit, „wehrt sich gegen den Wandel, und er mag nicht Weltbürger sein“, und das „zulasten einer guten Zukunft des Landes“. Der Wutbürger „buht, schreit, hasst. Er ist konservativ, wohlhabend und nicht mehr jung. Früher war er staatstragend, jetzt ist er zutiefst empört über die Politiker.“

Mehr noch: „Der Wutbürger denkt an sich, nicht an die Zukunft seiner Stadt.“ Aus heutiger Sicht liest sich Kurbjuweits Artikel haarsträubend arrogant. Aber er benannte ein damals noch ungewohntes Phänomen: dass Gefühle im politischen Prozess sichtbar und wirksam werden – nicht nur kühle Strategien und rationale Argumente. 

Der Wert nüchterner Neutralität

Nüchterne Neutralität ist in unserer globalisierten, liberalen Gesellschaft zum zentralen, wenn nicht sogar zum einzigen Wert geworden: Das ist gut, weil es jedem die Freiheit schenkt, sein Leben zu gestalten, wie er das möchte. Aber der Verzicht auf Regulierungen bedeutet auch einen Verlust an Halt, an Anerkennung, an Solidarität. Und er verlangt Kalkül, Selbstoptimierung und fortlaufende Anpassung an Veränderungen – ob man möchte oder nicht. 

Es ist eine andauernde Herausforderung. Wenn sich die Welt schneller verändert, als man sich anpassen und reagieren kann, entstehen Ohnmacht, Verunsicherung und Angst vor einer ungewissen, als bedrohlich empfundenen Zukunft. „Die wichtigste und allgemeinste Folge des Ohnmachtsgefühls ist Wut, und zwar eine Wut, die besonders durch ihre Ohnmächtigkeit gekennzeichnet ist. Ihr Ziel ist nicht wie bei anderen Arten der Wut die aktive und zielbewusste Vernichtung des Feindes, sondern sie ist viel vager, viel unbestimmter, aber auch viel destruktiver gegen die Außenwelt und gegen das eigene Selbst gerichtet“, schrieb der Psychoanalytiker Erich Fromm 1937. Und weiter: Die Wut „wird häufig durch trotziges und eigensinniges Verhalten ausgedrückt, beziehungsweise ersetzt“.

Fromms Überlegungen mögen eine Ahnung davon vermitteln, welche Gefühlslagen es sind, die die politische Atmosphäre im Land aufheizen – sowohl bei den Anhängern der Rechtspopulisten als auch bei jenen, die ohnmächtig zur Kenntnis nehmen müssen, dass Argumente, Daten und Aufklärung wenig Wirkung zeigen, nicht geglaubt, sogar zurückgewiesen und verweigert werden. Gegen starke Gefühle richtet Rationalität nichts aus. Und mehr noch: Die Neurowissenschaft hat gezeigt, dass auch jeder rationalen Überlegung Emotionen zugrunde liegen. Ohne sie wäre der Mensch handlungsunfähig – Vernunft und Gefühl sind keine unvereinbaren Gegensätze, im Gegenteil: „Jede Entscheidung ist auf die eine oder andere Weise emotional mitbestimmt“, so der Hamburger Politikwissenschaftler Gary Schaal, Professor an der Helmut-Schmidt-Hochschule der Bundeswehr, der zur Rolle der Emotionen in der Politik forscht. 

„Politik muss Emotionen berücksichtigen“

Er sagt: „Politik muss nicht nur rationale Interessen der Bürger berücksichtigen, sondern auch Emotionen.“ Gefühle seien von der Politik zu lange vernachlässigt worden. Schaal rät dazu, das Gefühlsmanagement nicht radikalen Gruppierungen zu überlassen, sondern systematisch zu prüfen und abzuschätzen, welche emotionalen Auswirkungen politische Maßnahmen haben. Eines seiner Beispiele ist der demografische Wandel. Eine Politik, die es als ihre Aufgabe sieht, auch Gefühle zu managen, müsste sich Fragen wie diese stellen: Aus welchen emotionalen Gründen werden zu wenige Kinder geboren? Welche gefühlsmäßigen Auswirkungen haben prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die Ausweitung von Zeitverträgen, die erhöhte Mobilität auf junge Erwachsene? Vielleicht stellt sich dann heraus, dass rein steuerliche Anreize das falsche Mittel sind, um jungen Leuten Mut zu machen, Kinder in die Welt zu setzen.

Der Pegida-Galgen ist nicht strafbar

Meinungsfreiheit – das wichtigste Grundrecht der Demokratie. Sie setzt sich in der Medienfreiheit fort, der Pressefreiheit, dem Demonstrationsrecht. Ihr Rahmen ist weit: Der sogenannte Pegida-Galgen, der bei einer Demonstration in Dresden vor gut zwei Jahren auftauchte und an dem zwei Schlingen hingen, eine mit „Merkel“ und eine mit „Gabriel“, dem damaligen Vizekanzler, ist geschmacklos und widerlich – strafbar ist er nicht, wie die Staatsanwaltschaft Dresden befand.

Meinungsfreiheit schützt nicht nur sachliche, sondern auch emotionale Äußerungen. Sie schützt vielfältige Sichtweisen und damit den Pluralismus in der demokratischen Gesellschaft. Sie schützt Kritik auch dann, wenn diese „pointiert, polemisch und überspitzt“ vorgetragen wird, wie das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr ausführte. Sie schützt das Recht, Blödsinn zu reden. Und sie umfasst das Recht, einfach mal den Mund zu halten.

Autorin: Susanne Zehetbauer
aus: KDFB Engagiert 5/2018

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