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Deine Stimme für Europa

KDFB engagiert 5/2019

02.05.2019

Wenn am 26. Mai die Wahllokale öffnen, geht es um die Zukunft Europas. Deine Stimme ist gefragt! Sie entscheidet mit, wer in den nächsten fünf Jahren die Geschicke des Kontinents lenkt. Auch Politikerinnen aus dem KDFB stellen sich zur Wahl. 

Der Name einer Frau prangt in großen Lettern über dem Eingang zum Europäischen Parlament in Straßburg: Louise Weiss. Es ist der Name der ersten Alterspräsidentin des Hohen Hauses. Als die französische Politikerin im Jahr 1979 mit 86 Jahren in dieses Amt gewählt wurde, hielt sie eine ergreifende Rede, in der sie von erfüllten Träumen sprach, zugleich aber die europäischen Institutionen mahnte, nicht nur europäische Zuckerrüben, Butter, Käse, Wein und Schweine zustande zu bringen, sondern auch den „europäischen Menschen“.

Diesem Wunsch schien die ursprünglich als reine Wirtschaftsgemeinschaft entstandene Europäische Union damals einen Schritt nähergekommen zu sein. Das Jahr 1979 gilt als ein Meilenstein in der Geschichte des Europäischen Parlaments, denn zum ersten Mal wurde es direkt von den Unionsbürgern gewählt und war damit unmittelbar demokratisch legitimiert. Was für eine Hochstimmung herrschte damals unter den Abgeordneten, zumal auch die bis dahin geringen Kompetenzen des Parlaments um das Budgetrecht erweitert wurden! Damals, vor 40 Jahren, zählte die Europäische Union gerade mal neun Staaten. Die Welt war gespalten in Ost und West und durch Europa zog sich eine Mauer.

Eine historische Chance: der Fall des Eisernen Vorhangs

Zwanzig Jahre später, als Emilia Müller – seit 2018 Bayerische Landesvorsitzende des KDFB – ins Europäische Parlament gewählt wurde, war die Welt schon eine andere. Der Eiserne Vorhang war gefallen, und die Länder, die dahinter auftauchten, drängten in die Europäische Union. Denn sie stand für Freiheit, Frieden und Wohlstand. Mit Begeisterung wurde die Erweiterung der EU vorbereitet. Emilia Müller war in die Prozesse eingebunden, führte Ver- handlungen mit der slowakischen Delegation. Noch heute erinnert sie sich gerne an die Aufbruchstimmung jener Jahre um die Jahrtausendwende. „Eine historische Chance tat sich auf, neue Länder zu gewinnen und Europa zu festigen. Es herrschte eine Atmosphäre von Akzeptanz und Toleranz im Parlament, überzeugte Europäer hatten das Ruder in der Hand“, erinnert sie sich. So gelang es 2004, die Europäische Union in einem mutigen Schwung von 15 auf 25 Staaten zu erweitern. In zwölf Staaten gab es bereits eine gemeinsame Währung, den Euro. Doch schon ein Jahr darauf, als Europa sich eine Verfassung geben wollte, kam die Ernüchterung. Die Franzosen und die Niederländer sagten in Volksabstimmungen Nein zu dem Dokument und bereiteten der Hoffnung auf eine weitere Festigung der europäischen Gemeinschaft ein jähes Ende.

Die Finanzkrise als Riss

Nach zähen Verhandlungen wurde dennoch der Vertrag von Lissabon auf den Weg gebracht, der heute noch für den europäischen Einheitsgedanken steht. Mit der Finanzkrise bekam das Projekt Europa jedoch einen weiteren Riss. „Es gab Zeiten, da wurde in der EU nur über Geld geredet. Wie stabil ist der Euro? – Das war die alles beherrschende Frage. Einige Jahre später folgten wegen des großen Flüchtlingszugangs in Europa mehrere Gipfel in Rom, Wien, Brüssel. Terroranschläge in Paris, Madrid, Berlin schockierten die Menschen. Und jetzt ist Großbritannien dabei, durch den Brexit die Union zu verlassen“, fasst Emilia Müller die turbulente Zeit zusammen.

Die EU steht vor einer Bewährungsprobe

Europa schlittert derzeit von einer Bewährungsprobe in die nächste, ein Krisengipfel jagt den anderen. Verflogen scheinen die Begeisterung und der Mut. Angst und Unsicherheit machen sich breit und treiben extremistischen Parteien quer durch den Kontinent die Wähler in die Arme. Ein Trauerspiel. In Polen, Ungarn, Italien stellen mittlerweile populistische Parteien die Regierung. In Belgien, Finnland, Österreich, Griechenland sind sie an der Regierung beteiligt. Und in Frankreich, den Niederlanden, in Dänemark, Schweden oder Deutschland gehören sie der Opposition an. Eine neue Ost-West-Spaltung klafft auf, denn die Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei weigern sich standhaft, Flüchtlinge aufzunehmen. Bei der bevorstehenden Wahl könnten europakritische Nationalisten im Europäischen Parlament an Kraft gewinnen. Damit wäre es künftig noch schwieriger, gemeinsame Entscheidungen für den Kontinent zu treffen. Denn die Europäische Union ist nicht zu vergleichen mit einem Staat. Demokratie auf zwischenstaatlicher Ebene geht andere, verschlungene Wege. In mancherlei Hinsicht hinkt die EU auch. Kein Wunder, ist sie doch ein noch junges, weltweit einzigartiges Projekt, das sich kontinuierlich weiterentwickelt. In den Institutionen der EU – der Kommission, dem Ministerrat, dem Parlament – wird in einem komplizierten System auf vielen Ebenen verhandelt und um Kompromisse gerungen. Würden Europagegner im Parlament zahlenmäßig zulegen, könnten sie Verhandlungsprozesse blockieren und den krisengeschüttelten Kontinent zusätzlich schwächen.    

Dagegen heißt es aufzustehen. Europa kann nur stark sein, wenn es zusammenhält. Gerade in Zeiten, in denen das Gewohnte wegbricht und weltweit neue bedrohliche Konstellationen entstehen. Ohne ein geeintes Europa wären die einzelnen Nationalstaaten nicht in der Lage, in einer sich schnell wandelnden, entgrenzten Welt zu bestehen. 28 Staaten vereint heute die EU, von Finnland bis Malta, von Griechenland bis Irland, und darin 500 Millionen Menschen. Bei der bevorstehenden Europawahl sind ihre Stimmen gefragt. Die Bürgerinnen und Bürger Europas sind es, die in direkter Wahl ihre Vertreterinnen und Vertreter für die nächsten fünf Jahre ins Europäische Parlament entsenden und darüber entscheiden, welche Fraktionen künftig das Sagen haben werden. Dieses Parlament hat sich im Laufe seiner Geschichte von einem anfangs nur beratenden Gremium zu einer echten Volksvertretung mit bedeutenden Kompetenzen entwickelt. Im Zusammenspiel mit dem Ministerrat und der Kommission entscheidet es heute bei der Gesetzgebung und dem Haushalt mit, wählt den Kommissionspräsidenten und kann Kommissare stürzen.

In einen Binnenmarkt verliebt man sich nicht

Doch seltsam: Die Wählerinnen und Wähler scheinen sich wenig darum zu kümmern. Mit dem Anwachsen der Vollmachten des Parlaments gehen immer weniger Europäer zur Wahl. Haben vor 40 Jahren 62 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, waren es bei der letzten Wahl 2014 nur noch 42,5 Prozent. Das muss sich ändern. Denn es steht viel auf dem Spiel. „2019 wird ein Schlüsseljahr für die Entwicklung in Europa. Es geht darum, ob wir unseren Kontinent auf einem konstruktiven, proeuropäischen Kurs halten können“, sagt die ehemalige Bayerische Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten Emilia Müller. In Deutschland scheinen die Menschen den Ernst der Lage begriffen zu haben, das zumindest zeigt das aktuelle Eurobarometer: 70 Prozent der Deutschen finden die bevorstehende Wahl wichtig. Politische Parteien haben ihre Spitzenleute ins Rennen geschickt.

Die gemeinsamen Werte verteidigen

„Es gilt, die gemeinsamen Werte zu verteidigen“, so Müller. Diese dürfen in der Turbulenz der Krisen nicht aus dem Blickwinkel geraten. Die Europäische Union ist eine Friedensgemeinschaft, die ihren Bürgerinnen und Bürgern große Freiheiten gewährt und ihre Rechte schützt. „Wir haben freien Zugang zu Arbeit und Hochschulen, europaweit anerkannte Abschlüsse, grenzenlose gemeinsame Forschung. Im Schengener Raum können sich Europas Bürger ohne Grenzkontrollen bewegen. Das ist keineswegs selbstverständlich“, betont Müller. Und: Mit dem gemeinsamen Binnenmarkt, in dem Waren, Geld und Dienstleistungen frei fließen, ist Europa der größte Wirtschaftsraum der Welt, größer als die USA, größer als China.

In einen großen Binnenmarkt verliebe man sich aber nicht, wie 1989 der ehemalige Kommissionspräsident Jacques Delors, einer der einflussreichsten Europapolitiker, sagte. Heutige Europäerinnen und Europäer machen sich Sorgen um ihre Arbeit, ihre Rente und ihre Krankenversicherung. Umfragen in den Mitgliedstaaten zeigen, dass die Europäer die Politikgestaltung in Brüssel und Straßburg als sehr fern empfinden. Der europäische Mensch, den Louise Weiss vor 40 Jahren anmahnte, scheint noch nicht geboren. Deswegen ist es an der Zeit, Europa neu zu denken, Zukunftsvisionen zu entwickeln. Aktuell diskutiert die EU Mindestlohnregelungen und eine europaweite Arbeitslosenversicherung. Dazu sagt Emilia Müller: „Eine Vereinheitlichung der Sozialleistungen ist für mich nicht der richtige Lösungsansatz. Was wir in Europa brauchen, sind soziale Mindeststandards in allen europäischen Mitgliedstaaten.“ Die Politikerin wünscht sich eine weitere Stärkung des Europäischen Parlaments. Es sollte das Initiativrecht erhalten, um Gesetze vorzuschlagen. Das, sagt sie, müsse im Europa der Zukunft eine Selbstverständlichkeit werden. Künftig sollten die Regionen mehr Gewicht bekommen, denn Regionen sind die eigentliche Heimat der Menschen. „Einheit in der Vielfalt, das wollen wir“, betont Müller. In einem großen Europa soll jede Region den Schatz ihrer Kultur und Lebensart bewahren können. „Ein geeintes Europa mit der Vielfalt der Nationalstaaten und der Regionen, das gibt es nirgendwo anders auf diesem Globus. Diese Einzigartigkeit müssen wir verteidigen“, sagt die Politikerin und fordert auf: „Gehen Sie zur Wahl, geben Sie Ihre Stimme für Europa! Sie bestimmen den künftigen Kurs der Union!“

Autorin: Maria Sileny
aus: KDFB Engagiert 5/2019 

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